Wales » Wohnung von Lee Zhao

Die Tür sprang auf und Lee kam herein, die junge Kaylin am Arm haltend und hinter sich herzerrend.
Ihre Augen schwammen in Tränen, während er selbst nicht gerade davon angetan, sie durch den Flur schubste und in ein, zwei Zimmer lugte.
"Melody!", rief er sogleich und da verstummte auch augenblicklich das Harfenspiel, welches durch die Wohnung geklungen war.

Eine hintere Tür öffnete sich und Melody kam gehorsam in den kühlen Flur.
Doch als sie den unbekannten Gast bemerkte, hielt die junge Frau augenblicklich inne.
Wie...? Wer war denn bitte das?
"Ja?", fragte sie nach, sich erlaubend, näher zu kommen.
"Wen hast du denn da mitgebracht?"

Kaylin schrie innerlich auf. Und das immer und immer und immer lauter werdent. Jedoch, kein Laut verließ ihre trockenen Lippen.
Sie zitterte und weinte bittere Tränen, obgleich sie immer noch nicht ganz begriffen hatte, was sie mit hatte ansehen müssen.
Sie waren tot...beide tot.
Kaylins Gesicht verkrampfte sich fest und sie holte kraftsuchend Luft.
In ihren Augen spiegelte sich Schmerz und großer Ekel gegen ihren Onkel...
Die Fingernägel der jungen Asiatin bohrte sich unablässig in ihre Handfläche, aber da war nichts, was sie wirklich wahrnehmen konnte.

Lee nahm von alle dem kaum Notiz, drückte seine Hand noch einmal fest auf Kaylins Schulter und schob sie unliebsam auf Melody zu.
"Du wirst dich um sie kümmern", sprach er, womit es auch schon beschlossene Sache war.
Schließlich wandte er sich an die nächste Tür, hinter der sich das Wohnzimmer befand und verschwand schweigend darin.
Melody hob ungläubig den Blick und starrte ihm fassungslos nach.
Sie sollte sich um sie kümmern?
Schließlich atmete sie aus und betrachtete sie die junge Asiatin vor sich.
Diese selbst hielt den Blick gesenkt und machte einen sehr...nun, verkümmerten Eindruck?
Wenn nicht, hatte sie sogar eine sehr haltlose, verletzliche Wirkung auf Melody.
Die beiden standen sich einige Zeit gegenüber, ohne dass jemand etwas zu sagen wagte.

Es war der nächste Tag. Lee hatte die ganze Nacht allein in seinem Zimmer verbracht und kam schließlich heraus.
In der Küche stand alles bereit, wie erwünscht. Die heiße Teekanne, deren Inhalt noch gut dampfte und duftete, das Frühstück im Allgemeinen, Früchte und alles weitere. Aber Lee hatte nicht vor, sich allzu lang hier aufzuhalten. Er nahm sich nur ein Stück der Honigmelone, trank den Tee in einem Zug aus und trat schlussendlich an Melody heran, die auch das Essen für Kaylin bereitete.
"Dass sie mir ja keine Schwierigkeiten macht", wisperte er ihr zu, strich ihr unsanft über das Haar und drückte ihr einen kalten Kuss auf die Wange.
Ohne, dass Melody noch etwas erwiedern konnte, verließ der Chinese die Wohnung. Die Ruhe kerrte wieder ein.
Und nur aus scheinbar weiter Ferne war Kaylins Aufkeuchen zu hören.

Kaylin saß auf ihrer Matratze und starrte abwesend aus dem Fenster.
Melody war zum Einkaufen gegangen und es war das erste Mal seit Monaten, dass sie das Mädchen alleine gelassen hatten.
Der Frühling kerrte ein und die Sonnenstrahlen erleuchteten alles, was Kaylin ausmachen konnte.
In der letzten Zeit hatte sie sich tatsächlich zurück in Jet's Fänge gewünscht.
In die letzten Momente. Da war sie schließlich nicht so allein gewesen, wie jetzt.
Auch hatte sie oft an Chajek denken müssen, sogar an Cho.
Ja, sie war geisteskrank und hatte ihr viel Leid zugefügt.
Aber Kaylin war sich sicher, dass sie ohne diese Beeinträchtigung nie so gehandelt hätte.
Langsam erhob sich das Mädchen, griff nach ihrem dünnen Jäckchen und verließ das Zimmer.
Auf dem Gang hielt sie inne und lauschte.
Nein, da war keine Melody und auch kein Lee. Wenn sie sich jetzt nur schnell genug beeilte..
Ihre Aufmerksamkeit fiel auf einen Apfel und diesen schob sie kurzerhand unter ihr Oberteil.
Es war nicht viel, aber sie hatte Hunger und ganz ohne wollte sie auch nicht gehen.
Es kostete Kaylin viel Mut, aber was sein musste, musste sein.
Ihre Eltern hätten dieses Leben nicht für sie als richtig befunden.
Kaylin holte den Ersatzschlüssel unter dem Abtreter hervor und schloss die Türe auf.
Ohne einen Blick zurückzuwenden, lief sie davon.