RE: Red Lion - Pub - 2

Als er ihr sagte, er würde nicht schlecht von ihr denken, wurde Eden fragend.
Nicht?
Sie runzelte etwas skeptisch die Stirn, während sie weiterhin aus dem Fenster blickte, und nicht zu ihm.
Warum nicht?
War es nicht so, dass alle Menschen etwas gegen sogenannte Prostituierte hatten? Und wenn es auch nur insgeheim war?
Irgendwo in sich, eine Abneigung dagegen?
Jedenfalls wollte sie klarstellen, dass sie dieser Berufsrichtung nicht mehr nachging, daher musste sie wohl wohl oder übel reden.
Irgendwann drehte sie sich wieder zu ihm und erblickte, dass er es wohl dennoch ernst meinte.
Sie nickte zaghaft. Es war noch schwer, gerade bei einem Mann, Vertrauen zu fassen, aber sie sagte erst einmal nichts.
Später jedoch, nachdem sie noch einige Momente gefahren waren, blickte Eden auf ihre Hände hinab.
"Ich war jung. Ich war dumm. Und weil ich die Streitigkeiten meiner Eltern nicht mehr aushalten konnte, bin ich auf und davon. Und da hat alles begonnen..."
Eden drehte sich zu ihm, um sich zu vergewissern, dass er es auch wirklich hören wollte.
Nicht wie vorhin in der Küche.

Cheung blickte aufmerksam zu ihr und er war willig zu hören.
Mittlerweile war es auch schon spät genug und auch nicht mehr allzu viel verkehr auf der Strasse.
Ja, sie sollte erzählen, was geschehn war.
Für sich selber war es auch gut, dass er sich etwas mehr ein Bild von dieser fremden Person machen konnte.
Heute hatte er vieles erfahren über Eden, was ihn erstaunte.

Eden nahm dann wieder dem Blick von ihm und lenkte diesen aus dem Fenster.
"Ich bin also auf und davon. Und ich lebte einige Zeit auf der Straße...da ich noch sehr jung war, keine Arbeit hatte, auch nichts gelehrnt hatte, womit ich mich bewerben konnte. Ich hatte kein Geld...nichts. Und eines Tages - ich stand an einer Brücke; wobei ich mich natürlich nicht umbringen wollte, ich wollte nur über mein weiteres Leben nachdenken - da traf ich diese Frau. Sie war recht hübsch anzusehen, auch wenn sie schon ins Alter gekommen war. Meiner Meinung nach zumindest...damals war sie so zwischen 40 und 50 Jahre alt und ich gerade mal...keine Ahnung 17? Jedenfalls kamen wir ins Gespräch. Sie schien sehr freundlich und meiner naiven Seele tat das sehr gut. Daraufhin bat sie mich, mit ihr zu kommen..."
Eden schluckte schwer.
Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie über ihr Erlebtes gesprochen.
Und wirklich, ihre Augen wurden glasig, wenngleich sie sonst eigentlich nie auch nur eine Träne vergoss.
"Dann kam es, wie es kommen musste. Die Dame nahm mich bei sich Zuhause auf, wie Frau Leni, bekochte mich. Machte mir Mut. Zeigte mir, dass ich es wert war, zu leben. Und immer wieder kaufte sie mir schöne Sachen. Fast behandelte sie mich wie ihren kleine Prinzessin. Ich fühlte mich wie im Himmel, dass ich endlich glücklich werden konnte. Aber eines Tages begann sie, mir irgendwelches Zeug beispielsweise in den Tee zu machen, woraufhin ich plötzlich immer mehr den Drang verspührte, davon zu trinken. Sie machte mich drogenabhängig. Und das auf eine so hinterlistige Art und Weise, dass ich es nie im Leben dort allein rausgeschafft hätte. Nach einigen Monaten jedoch wollte sie plötzlich, dass ich sie dafür bezahlte. Für den Tee, für die tollen Sachen, die mir ehrlich super standen. Die Dame trichterte mir ein, dass sich das so gehörte und sie mich nun genug aufgepäppelt hatte. Sie bat mir sogar einen Job in ihrer vermeindlichen Kneipe an, in die komischerweise nur Männer gingen, wie ich einmal gesehen hatte."
Das alles kam ihr recht ausdruckslos über die Lippen, wobei man doch immer wieder hörte, wie ihre Stimme mit kurz abbrach und wieder neu ansetzen musste.
"Ich nahm es also an, weil ich so naiv und dankbar gewesen war. Mit ihrer freundlichen und liebevollen Art hatte sie mich auf eine bestimmte Weise gefügig gemacht. Erst arbeitete ich in ihrer Kneipe nur als Bedienung, musste in knappen Röckchen herumlaufen und mich von Männern begrabschen lassen. Als ich das irgendwann nicht mehr aushalten konnte, gab mir ein Mädchen von dort das erste Mal etwas von dem Koks. Und...es half. Es half ungemein. Irgendwann war das Geld, was ich als Bedienung verdiente, nicht mehr gut genug und sie sagte mir, sie wolle mich sonst wieder auf die Straße setzen, wenn ich nicht richtig bezahlte. Mittlerweile war ich ab so dermaßen anhängig, dass ich keinen anderen Ausweg sah, als mich - wie die anderen Mädchen - zu prostituieren...."
Eden holte tief Luft und plötzlich liefen ihr tatsächlich Tränen über die Wangen, wobei sie bei dem Gedanken daran, ihre Hände vor dem Gesicht zusammenschlug und aufkeuchte.

Cheung hatte ernst zugehört und ab und zu Eden geschaut.
Was sie ihm da erzählte, war wirklich sehr vertraulich und sicherlich hatte sie es noch nicht allzu vielen erzählt.
17 war sie gewesen.
Und diese ältere Frau?
Was hatte die gewollt?
Irgendwelche sexuellen Interessen Eden gegenüber, weil sie jung war und schön?
Es gab kranke Menschen auf dieser Welt und als Polizist hatte man alltäglich mit solchen zu tun.
Unter anderem auch in der Drogenszene, da kannte sich Cheung aus in Hong Kong.
Es gab so viele Spinner, jedes mal wenn man sich dachte es gäbe nichts neues, man hätte alles gesehn, kam wieder ein neuer Spinner, der versuchte Kinder mit Tieren zu paaren oder weiss der Teufel was alles noch.
Eden war in einen Teufelskreis gekommen...und aus ihrer Erzählung her, konnte man entnehmen, ja sogar sehn, dass sie unschuldig war.
Wer würde in so einer Situation einer Frau, wie dieser bei Eden, zutrauen, dass sie irgendwelche Substanzen in den Tee und ins Essen mischte?
Hätte er sowas vorausgsehn, wäre er in der selben Situation gewesen?
Wohl kaum.
Aber anders gehandelt hätte er, aber auch nur, weil er ja Polizist war und mittlerweile wusste, dass man immer zur Polizei gehn sollte.
Solche Dinge nicht alleine machen.
Jet hätte auch kommen müssen, jetzt würde er seine Strafe absitzen müssen - zu recht.
Und das Koks?
Wie war sie davon weg gekommen?
Aus allem?
Verfolgte man sie deswegen?
Konnte sein...konnte wirklich sein.
Gerade wollte sie Cheung schon fragen, wie denn das mit ihrem Arztstudium gewesen war, mit 17 konnte sie doch kaum schon ihren Abschluss gehabt haben, da sah er, wie Eden einige Tränen die Wange entlang kullerten und schnell blickte er wieder weg.
Wie er so etwas hasste!
Solche Situationen.
Gerade in solchen Augenblicken sollte man ein tröstendes Händchen haben und natürlich tat ihm Eden leid.
Doch wenn der Inspektor etwas sehr schlecht konnte, dann war es Trost geben und jemanden beistehn.
Carol hatte das ihm auch immer vorgeworfen.
Und auch seine Tochter.
Ja, es stimmte, mochte er halt eine kühle Person sein!
In Ordnung.
"Möchten Sie, dass ich zurück fahre?", fragte nun Cheung, der eigentlich nicht vom Thema wegkommen wollte, doch sich irgendwie schuldig fühlte mindestens etwas zu sagen.

Aber Eden hob etwas die Hand und wehrte ab.
Jetzt hatte sie einmal begonnen, so wollte sie auch zuende sprechen. Das war schon allein nicht leicht für sie, aber jetzt damit aufzuhören - das wusste sie - wäre das falscheste, wozu sie sich entschließen konnte.
Und jetzt würde sie auch noch erzählen, ganz gleich, ob er ihr überhaupt noch zuhörte.
Sie musste es einmal für einen kurzen Moment von der Seele haben.
Eden legte ihren müden Kopf gegen die Fensterscheibe und schielte hinauf zu den Sternen.
Wie sie dort so unbekümmert leuchteten und einfach da waren....ob sie nun verdeckt wurden oder nicht.
Sie wussten sicher nicht, was es hieß, eine Vergangenheit oder Zukunft zu haben.
Sie waren schon so unendlich alt, dass man es kaum nachweisen konnte.
Und dennoch waren sie nicht in ihrem Wesen unendlich.
Eden seufzte.
"Das ging also einige viele Jahre so, bis ich auf einen Freier traf, der wohl besonders gefallen an mir gefunden hatte. Noch immer waren meine Schulden - die ich angeblich hatte - nicht beglichen und ich konnte aus dem Sumpf der Drogen nicht entkommen. Vor allem nicht...allein. Irgendwie schaffte er es jedoch, mich zu überreden, mit ihm zu gehen. Er wollte auf mich Acht geben, wollte mir helfen. Und ich war dankbar. Nach einiger Zeit nahm ich sogar an. Er ging fort mit mir und bezahlte mir einen Drogenentzug. Ich empfand nie wirklich viel für ihn, keine Liebe, nichts. Nur Dankbarkeit."
Eden schwieg einen Moment, um sich das alles in Erinnerung zu rufen.
"Da war ich also...clean, aber noch immer ohne Arbeit, in der Wohnung meines ehemaligen Freiers. Doch irgendwann kam er nicht mehr nach Hause und direkt am nächsten Tag erfuhr ich, dass er auf offener Straße erschossen wurden war. Daher entschied ich mich, die Muggewelt eine Weile hinter mir zu lassen und begab mich in die Zauberwelt. Ich hatte noch vieles zu lernen, deshalb zog sich meine Ausbildung als Heilerin auch sehr in die Länge. Als ich es schaffte, ging ich Abends in einen Pub, um meine bessere Zukunft zu feiern. Dort lernte ich einen Manager kennen, der...der mir einen Job als Fotomodel anbot. Ich nahm an, da es mir schmeichelte. Und mit den Jahren wurde ich sogar eine kleine Berühmtheit in den Modezeitschriften. Irgendwann jedoch wollte ich wieder zurück...wollte mich endlich meiner Bestimmung als Heilerin stellen. Und wieder kam es - dass ich an einer Party einen jungen Mann kennenlernte. Er ist Schauspieler und wir gingen eine Affäre ein. Ich hatte nie wirklich Gefühle für ihn, nur selten, da er sich ja auch dementsprechnd nur blicken ließ. Aber irgendwann wurde ich schwanger und er ließ sich überhaupt nicht mehr blicken..."
Eden sah immer noch aus dem Fenster und zählte die Laternen, an denen sie vorrüberfuhren.
"Arschloch. Aber egal...es ist Vergangenheit. Hoffte ich zumindest, bis ich vor ein paar Tagen einen Anruf erhielt, der mein ganzes Leben wieder auf den Kopf stellte..."

Cheung war ehrlich gesagt erstaunt und verblüfft.
Eden hatte vieles erlebt und vieles gemacht.
Mehr als man einem zutrauen würde.
Da dachte doch jeder Drogen und Bordell wäre Endstation.
Aber bei Eden schien es auf einmal so, als wäre das bloss eine Vorspeise gewesen...das richtige Leben begann dann erst später bei ihr mit Entzug, Fotoaufträgen und Studium.
Eines musste man ihr lassen, diese Frau musste bestimmt sehr clever sein, sonst wäre sie wohl kaum Ärztin geworden und hätte auch den Entzug wohl nicht geschafft.
Doch was auch auffiel war Edens Liebesleben.
So wie es klang hatte sie bisher noch nie wirklich einen Mann richtig geliebt.
Für die Männer hatte sie sich einfach hingegeben, damit sie leben konnte und ihre Schritte weiter kam.
Vielleicht damit einfach etwas lief.
Dieser Schauspieler also war der Vater von Wyatt.
Kannte er ihn vielleicht?
Eher nicht, Cheung war keiner der sich oft Filme ansah und wenn, dann wohl eher irgendwelche Stephen Chow Komödien von früher.
"Erzählen Sie von dem Anruf", bat sie nun Cheung, der in angenehmem Tempo die Strassen entlang fuhr und hie und da irgendwo abbog.

Eden schwieg und auf die Frage hin sah sie wieder nach draußen.
Sie verzog den Mund, legte dabei die Hand an die Türe und begann leise mit ihren Fingerspitzen daran entlang zu trommeln.
Tja, der Anruf. Sie fragte sich noch heute, wie sie nur dahinter gekommen waren.
Alles schien so unlogisch und logisch zugleich.
Sie war damals abgehaun und sie hatten sie verfolgen lassen, sogar bis jetzt noch.
Fragwürdig war auch, woher sie ihre Nummer hatten....aber diese Typen hatte schließlich überall ihre Finger im Spiel.
"Wegen meinen Schulden bekam ich den Anruf. Sie hatten wohl mittlerweile so ziemlich alles über mich erfahren und der alte Bekannte teilte mir mit, dass sie vorläufig eine russiche Frau bei mir unterbringen wollten. Daraus erschloss ich, dass sie nun nicht nur noch mit Drogen dealten oder Frauen zum Anschaffen zwangen, sondern auch noch Menschenhandel betrieben..."
Sie hielt mit dem Trommeln inne und sah zu Cheung.
Ihre Tränen waren wieder getrocknet.
"In all den Jahren bin ich nicht schlauer geworden, was die Polizei betrifft. Ich habe mich gesträubt, weil ich mich schämte und es noch immer tuhe. Daher bin ich nicht sofort zu euch gekommen. Jedenfalls sagte er mir also, dass sie sie bei mir unterbringen wollen, warum auch immer. Und ich sagte natürlich sofort nein! Wegen Wyatt! Und auch sonst. Ich wollte nichts mehr mit ihnen zutun haben. Jedoch sagte er mir am Abschluss, dass ich schon sehen würde, was das sich ziehen würde. Und genau das sah ich...meine Wohnung war verwüstet und ich...bin jetzt existenzlos. Wahrscheinlich geht es ihnen gar nicht um die Schulden. Sondern weil ich die erste war, die von ihnen abgehaun war. Tja...und wenn der Asylaufenthalt vorbei ist, habe ich dennoch nicht meine Papiere zurück und ich weiß nicht, wie ich das alles in den Griff bekommen soll. Schon nur, weil ich Angst um meinen Sohn habe."

Cheung verstand.
Ja, wieder so ein Fall für die Polizei.
Menschenhandel...das passte gut zu diesen Gangstern.
Und Eden?
Tja, diese hatte eigentlich zwei Möglichkeiten.
Entweder etwas Geld verdienen, um sich neue Papiere zu beschaffen und schliesslich irgendwo im Exil ein neues Leben starten, oder gegen die Bastarde ankämpfen und sie hinter Gitter bringen.
Beides war gefährlich, im ersten Falle konnten die Typen sie ja jeder Zeit aufsuchen.
"Haben Sie vor, gegen diese Leute zu ermitteln?", fragte nun Cheung und er blickte kurz wieder zu ihr.
Schliesslich war er Polizist und wollte auch immer sicher sein, wo er gerade mit ihr stand.

Aber Eden schwieg und sagte nichts mehr dazu. Sie beräute nur innerlich, dass sie sich nicht wirklich bei dem Inspektor bedanken konnte.
Auch wenn der Abend so eine Wendung genommen hatte, war es wundervoll für sie, zu wissen, dass er ihr zugehört hatte.
Und dass er ihr geholfen hatte. Als sie die Hilfe auch wirklich benötigt hatte.
Schließlich rang sie sich zu etwas durch und während er so gemächlich weiterfuhr, lehnte sich die junge Frau zu ihm hinüber und küsste ihn auf die Wange. Nur ganz sanft.
Aber Eden wusste ja von sich, dass man Dankbarkeit nicht allein durch Worte ausdrücken konnte.
Und so tat sie dies.
Wohlmöglich würde er sie zurückweisen.
Wohlmöglich würde er sie aus seinem Auto schmeißen.
Wohlmöglich interessierte es ihn nicht mal.
Eden wusste es nicht, weil er wirklich der undurchschaulichste Mensch war, den sie ja kennen gelernt hatte.
Aber im Grunde war es ihr egal, weil sie es nämlich schon intersessierte.

Cheung hatte eher eine Antwort erwartet und als Eden nichts sagte, wunderte er sich leicht.
Aber doch...vielleicht hatte sie auch recht.
Sie waren hier um sich zu versöhnen.
Warum also sich jetzt gedanken darüber machen, wie man Eden am besten daraus helfen konnte.
Für heute war genug gesagt und auch genug gearbeitet.
Und während er auf den Verkehr blickte und gerade eine Kreuzung überquerte, konnte er plötzlich einen Kuss auf seiner Wange spühren und Cheung zuckte leicht mit den Fingern.
"Nin you wen wode tong ma", sagte er mit erstaunter Stimme und er fasste sich an der Wange.
Etwas ungläubig blickte er zu Eden hinüber und sah dann wieder auf den Verkehr.
Seltsam.
Heute Nachtmittag noch so gezankt, und jetzt das?
Ein schönes Zeichen der Versöhnung, ja.
Cheung blickte nochmals leicht zu Eden, ungläubig erneut.
Er konnte gar nicht fassen, dass sie das eben gemacht hatte. xD
War er hier im falschen Film?


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Sie haben mich geküsst

Eden lächelte nun sogar etwas sanft auf, als sie seinen ungläubigen Blick sah und wie er sich an die Wange faste.
Zwar verstand sie kein Wort, aber dennoch glaubte sie die Bedeutung trotzdem zu kennen.
Einfach, ungefähr.
Daraufhin lehnte sie sich wieder zurück, drehte sich abermals zur Fensterscheibe, aber geradeaus.
Sie war froh, dass er doch nicht reagiert hatte, wie vermutet.
Und sie war erleichtert, es getan zu haben.
Denn beachtlich war dieser Schritt allemal gewesen, nachdem, was sie eben alles erzählt hatte.
Davon gesprochen hatte, so offen und ehrlich, wie sie denn eigentlich den Männern gegenüber stand.
Und sie war froh, hier zu sein und nicht noch immer in dem Pub.
Die erst für sie grauenvolle Wendung für sie hatte den Abend also doch gerettet.
Und das stimmte sie gutmütig.
"Darf ich Sie etwas persönliches fragen?", hakte sie nun daher bedächtig nach.
"Warum sind Sie geschieden, Mister Cheung?"
Natürlich musste er nicht antworten und wohlmöglich konnte sie sich auch selbst die Antwort geben.
Aber sie stellte die Frage in das Auto, damit sie sich nicht irgendwann selbst schellte, es nicht getan zu haben.
Außerdem...sie dachte sich, dass das hier eine einmalige Situation war.
Morgen würden sie beide wieder ihrer eigenen Wege gehen und sich kaum noch zu Gesicht bekommen.
So war eben der Lauf des Lebens.

Cheung hatte sich ein zweites Mal an die Wange gefasst und innerlich leicht geseufzt.
Dieser sanfte Kuss, war wohltuend für die Seele und Geist.
Es war eine kleine, aufmerksame Geste gewesen von ihr und auch ein Zeichen dafür, dass sie sich vergeben hatten.
Diese Woche war wirklich sehr stressig gewesen mit vielen Unannehmlichkeiten und schweren Situationen.
Er hatte sich zwar gut eingelebt im Polizeirevier, doch alles gab viel zu tun und das kalte Zimmer bei ihm oben hatte ihn noch verspannter gemacht, als er es sonst schon war die letzte Zeit.
Gut hatte er heute die Heizung repariert.
Dieser kleine Ausflug hatte beiden letzten Endes gut getan und man konnte ein wenig Dampf ablassen von der Realität.
Als ihn Eden dann auf Carol ansprach, blickte er kurz zu ihr.
Ja, die Scheidung.
Wichtiges Thema bei ihm.
So wichtig, dass er drüben in Hong Kong die meisten Kollegen zu tiefst genervt hatte mit seiner ewigen Scheidungsdiskussion.
War eben ein langer Prozess gewesen, der selbst nach dem ganzen noch anhielt.
In der Seele.
"Das ist...etwas schwer zu sagen", sagte Cheung, aber es fiel ihm nicht schwer zu sprechen.
Mittlerweile sah er das ganze mit offenen Augen und konnte längst seine Fehler an dem ganzen Erkennen.
"Als Polizist hat man ständig die Arbeit im Kopf, wissen Sie. Besonders ich. Es ist schrecklich mit mir, wo ich auch bin, sehe ich irgendwelche Schlägereien oder sonstige Dinge."
Er wandte sich dann wieder der Strasse zu und hielt vor dem Fussgängerstreifen.
Ein kleiner Junge mit Mutter ging darüber.
"Das hat sie gestört, weil ich zu wenig auf die Familie fixiert war...meint sie. Zeit hatte ich auch nur wenig. Bis ich endlich zum Inspektor befördert wurde habe ich viel...geschuftet dafür. Ja, ich glaube, das ist das Englische Wort dafür."
Er fuhr wieder los und weiter vorne war der 'Red Lion' wieder zu sehn.

Eden blickte nun - im Gegensatz zuvor - die ganze Zeit hin aufmerksam zu ihm.
Betrachtete, wie er sich nochmal an die Wange faste und alle anderen Reaktionen, die er zeigte.
Und während er so sprach....da...da kam sie einfach nicht umhin, ihn zu bemitleiden.
Wie sie ja in dem Zeitungsbericht gelesen hatte, lebte er wohl wirklich für seine Arbeit als Polizist, blieb aber sonst vor allem allein.
Und war einsam.
Eden selbst war in den ganzen Jahren gut mit ihrer Einsamkeit zurecht gekommen.
Hatte sich deshalb nicht beklagt.
Aber es war schon so...dass man irgendwann durch alles zu einsam wurde.
Auch wenn ihre Situation eine ganz andere war, als die seine.
Er war durch sich selbst einsam geworden, durch seine Arbeit.
Und sie, weil sie sich nicht binden wollte, um später nur unnötig verletzt zu werden.
Man sah es ja schon an Wyatts Vater.
Ihre Zeit zusammen war gut gewesen, aber da endete es auch schon. Weiteres gab es dazu nicht zu sagen.
Und nun saß sie hier in einem fremden Auto, neben einem Inspektor, den sie soeben auf die Wange geküsst hatte, der nun über seine Scheidung sprach und nur vorrübergehend hier in England lebte.
"Haben Sie...jemals darüber nachgedacht, Ihren Job zu schmeißen und dafür für Ihre Familie dazu sein?"
Eden wurde aufmerksamer.
Tatsächlich, das interessierte sie jetzt.

"Jemals darüber nachgedacht den Job zu schmeissen?"
Er schüttelte den Kopf.
"Nein, das heisst...damals nicht. Aber heute weiss ich, dass ich es hätte tun sollen."
Er lächelte bitter und blickte zu ihr.
Zu Frau Lenis Haus war nun nicht mehr weit.
"Im Nachhinein weiss man alles besser."
Und das stimmte auch.
Früher hätte er niemals sich dafür gehabt von seinen Fehlern zu sprechen.
Früher hatte er immer nur erzählt, was Carol falsch getan hatte, dass sie der einzige Grund gewesen wäre für die Scheidung.
Doch heute, im Nachhinein eben, war er klüger und könnte es besser machen.
"Wissen Sie, das ist jetzt ganze fünf Jahre her", sagte er.
"Und es kommt mir...manchmal so vor, als wäre die Zeit stehn geblieben. Als wären erst gestern die Papiere unterschrieben, als würde das alles noch...an Aktualität besitzen."
Er schüttelte den Kopf und sie gelangten an die Stelle, bei dem der Jugendliche ihm vors Auto gesprungen war.
Fünf Jahre und er war immer noch alleine.
Trostlos war das alles, als würde er nur für diese eine Sache leben, die längst vorrüber war.
"Tut mir leid, vielleicht langeweile ich Sie ja."

[ !!!]

Im Nachhinein weiß man alles besser..., ging es ihr durch den Kopf und sie blickte zu ihm, während sich ihr Mund etwas öffnete.
Wie wahr die Worte doch waren, die er da sprach. So wahr...
Warum war es eigentlich so, dass man immer erst Fehler begehen musste, um später besser handeln zu können?
Warum war es manchmal einfach so, dass man doch nicht zurückkonnte?
Dass es dann zu spät war?
Wer verdammt hatte sich so einen Blödsinn ausgedacht?
Innerlich schnaubte sie und währenddessen legten sich ihre Fingerspitzen etwas an seinen linken Oberarm.
Damit wollte sie nur zeigen, dass er zwar einsam sein mochte, was die Liebe anging.
Noch niemand neues gefunden hatte und dass es noch seine Zeit dauern würde, dass er aber jetzt und hier nicht allein war.
"Niemals", sprach sie, als er sagte, dass er sie wohlmöglich langweilte.
Und sie meinte ernst, was sie da sagte nicht.
Nicht, weil sie es nötig hatte, sich bei ihm einzuschleimen...aber, er hatte ihr schließlich auch zugehört.
Und daher war es ihr jetzt auch wichtig, dass er von seiner Last sprechen konnte.
"Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf...", fing Eden zu guter Letzt an. "Sehen Sie nicht immer alles so ernst. Lachen Sie doch mal...zeigen Sie, dass sie es wert sind, wie jeder andere geliebt zu werden."
Sie wandte ihren Blick dann wieder etwas nach vorn und blickte zu der Stelle von vorhin.
Wirklich, eine komische Situation.
Aber sie war realer, als manch andere, die sie in ihrem Leben durchlebt hatte.
Sie war echt.