England » Klinik

Cho saß - wie schon die Tage zuvor - in ihrer Gummizelle und starrte belanglos vor sich her.
Wie sie sich langweilte!
Irgendwie ging ihr Traum geradewegs in eine falsche Richtung und es war ihr unmöglich, sich dagegen zu wehren.
Cho schnaubte leise, richtete sich auf - ihr Haar stand zerzaust zu allen Richtungen ab und einige Büschel dessen lagen zerstreut in der Zelle herum - und lief auf der Polsterung wenig begeistert umher.
Plötzlich holte sie vollkommen unerwartet mit beiden Fäusten aus und schlug damit auf die Wand ein.
Gut, dass auch diese gepolstert war und damit keine Gefahr für sie darstellte.
"Langweilig!", brüllte sie. "Laaaaangweilig! Langweilig! Aaaaah!"
Immer und immer wieder schlug sie zu.
Die junge Chinesin schlug immer fester, immer härter zu, so dass ihr Hände schon rot wurden.
Taub.
Genau, das wollte sie.
Taub sein...diese Stimmen nicht mehr hören, die sich von Zeit zu Zeit ihrer bemächtigten!
Plötzlich verkrampfte sie sich und knickte zusammen, als würde sie einen Herzanfall erleiden.
Doch im Grunde waren es Schmerzen, die sie erleiden musste, da Jet nicht bei ihr war.
Dennoch hob sie von einer Sekunde auf die nächste ihren Kopf und begann schallend und aus Leibeskräften zu lachen.
"Jet!", rief sie ihn, wuchtete sich auf und lief auf die gegenüberliegende Wand zu.
"Du bist zu mir gekommen! Mein Jet!"
Glücklich seufzend ließ sie sich mit geschlossenen Augen an der Wand hinunter sinken.
"# Wir fahren mit dem Auto auf die Wolken zu.
Es wird schon dunkel, wir haben Licht an.
Schwarze Bäume ziehen am Autofenster vorbei.
# Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
# In der Stadt geht niemand mehr über den Zebrastreifen.
Da ist ein Anhalter.
Den nehmen wir nicht mit.
Alle Geschäfte haben schon geschlossen,
aber sie haben noch Licht an.
# Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
# Wir fahren mit dem Auto auf die Wolken zu.
Es wird schon dunkel, wir haben Licht an.
Dunkle Bäume ziehen am Autofenster vorbei.
# Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
Aber ich bin noch nicht müde, nein, nein, nein!
# Nein, nein, nein, nein, nein ...", sang Cho, wurde aber irgendwann schläfrig, wobei sie lächelnd an ihren Fingern knabernd einschlief.

Louis kam an seine neue Arbeitsstelle, zog unten die Türe der Klinik auf und trat herein, auf den Gang.
Sie war nicht sonderlich groß, aber alt. Und das war schon von außen zu sehen. Auch wenn das Gebäude aus weißem Stein bestand.
An der Rezeption hielt er inne und erkundigte sich nach seiner Abteilung und wo er dann vorsprechen sollte.

Als alles geregelt war, kam er auf die Station, in der sich auch Cho befand und lief an den verschlossenen Türen vorrüber.
Irgendwann kam er wohl an sein neues Arbeitszimmer und den dafür zuständigen Therapieraum.

Bei Cho ging wenig später die Türe auf und zwei Helfer kamen herein, die die vor sich hinschlummernde Cho zu beiden Seiten hochhoben und während diese ihnen verträumt zulächelte, die Chinesin hinausbrachten, in ihrem Hemdchen, über den Gang, zu Louis' Wangs Arbeitszimmer. Sie öffneten die Türe, während sich der Therapeut noch einrichtete, ihnen zunickte und auf den Therapieraum hinter sich wies.
Dorthin wurde sie gebracht.
Cho riss sich schließlich los, ließ sich auf den Boden fallen und krabbelte wie eine angestochene in die nächste Ecke, wo sie sich zusammenkauerte.

Es vergingen noch einige Minuten. Dann ging die Tür zum Raum ein erneutes Mal auf und Louis trat schweigsam herein.
Ein wenig fragend sah er sich nach seiner Patientin um und erkannte sie in einer Ecke, wo sie mal wieder an ihren Finger knabberte.
Er trug, um ihr keine Angst zu machen, normale Alltagskleidung, trat weiter an das Fenster und öffnete es einen Spalt, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Schließlich aber drehte er sich mit wohlgesinnter Miene zu Cho, ging zu ihr, griff ihren Arm und hob sie auf.
Cho wehrte sich nicht, sah nur mit großen Augen zu ihm auf. Was wollte er denn?
Louis bugsierte sie auf einen Stuhl, drückte sie sanft hinab und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl.
"Mein Name ist Louis, Miss Li", sprach er sie nun direkt und offen an. Eine Reaktion abwartend.

Cho hingegen ließ sich wehrlos alles gefallen und verschränkte die Beine unten zusammen krampfhaft.
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und blickte ausdruckslos an ihm vorbei.
Das hier war ihr Traum und sie hatte zu bestimmen!
Dass er sie ansprach, war ihr gleich. Und wie sie nunmal war, hing sie lieber ihren Gedanken nach und begann sichtlich amüsierte zu grinsen, wenngleich es gar nicht zur Situation passte.

Louis, der sich das gedacht hatte, da sie nun wirklich nicht seine erste Patientin war, blickte ihr weiterhin entgegen.
Schließlich aber sah er sich im Raum um, nach etwas suchend.
Seine Therapie würde darauf hinauslaufen, Cho ohne Medikamente zu rehabilitieren.
Sie wieder an die Wirklichkeit zu gewöhnen.
Ihr durch die Drogen zerstörtes Bewusstsein wieder in die Realität zurückzuholen.
Zwar wusste er nicht, dass Cho zu seinem Cousin gehörte und auch nicht, dass er ihm, wenn er davon wüsste, bis ans Lebensende dankbar sein würde, aber er würde sich für sie genauso viel Zeit nehmen, wie für jeden anderen.
Schließlich stand der Neuvampir auf, lief an ein Regal und nahm eine kleinen blauen Noppelball hervor, mit dem er zurückging, sich zu der Chinesin hinabbeugte, ihre verkrampften Finger aufmerksam öffnete und diesen hineinlegte.
"Können Sie etwas fühlen, Miss Li?"

Cho umgriff missmutig den Ball, so fest sie konnte.
Er störte sie!
Ihre Lippen bildeten einen vielsagenden Strich, während sie ohne einen Laut von sich zu geben, wütend auf den Boden stampfte.
Schließlich ging alles sehr schnell. Cho hob den Ball zu ihrem Mund und biss mit ganzer Kraft hinein, was ihr natürlich wehtat und sie zu schreien begann, aber sie ließ nicht locker.