Eine kleine Ewigkeit war in Otopia vergangen, seit Draco seinen letzten Schritt aus der Zauberwelt getan hatte. Mit seinem Entschluss auf der anderen Seite der verschlossenen Tore zu bleiben, auf der Seite der Vampire, hatte Draco bewiesen, dass er in diese Welt gehörte. Und auch, dass er es ernst meinte mit seinem Vorhaben. Yanez war in den letzten Wochen und Monaten zu Dracos Lehrer geworden und öffnete ihm den Weg. Denn gerade am Anfang, so pflegte er immer wieder zu sagen, war es am schwierigsten. "Der erste Eindruck", so sagte der Portugiese stets, "bleibt immer haften." Sie waren mitten in den Bauarbeiten zu Dracos neuem Anwesen. Die Angelegenheit bedeutete viel Geld und Planung - von all dem wurde der junge Otopianer aber nicht belastet. Er wurde nur gelegentlich an sein Grundstück geladen um die Fortschritte zu sehn. Was ihm präsentiert wurden waren Ergebnisse und Vorschläge, keine Problemsverläufe. Das Anwesen war schlicht und klassisch. Es sah ähnlich aus, wie jene Anwesen in der Nachbarschaft. Ein schönes leuchtendes weiss, griechische Sockel und Säulen, ein friedlicher Park im Hinterhof. Das Anwesen war soweit fertig, dass Draco in den nächsten Wochen hier einziehen konnte. Der Garten war mit schlichten Blumen ausgestattet. Nicht zu viele, um Sir Douglas' Residenz keine Konkurrenz zu machen, aber auch nicht zu wenige. Alles war nach dem Standart eingerichtet. Schön und edel. Drinnen führte eine marmorne Wendeltreppe hinauf in die Gemächer des 1. Stockes. Yanez führten Draco durch die Gänge. Ein persönlicher Schneider klebte immer an der Seite des jungen Herrn und folgte ihnen auf Schritt und tritt. Draco wurden Kleider anprobiert, Perrücken, Schmuck und Schuhe. "Grün. Das ist momentan die Farbe die alle lieben", sagte Yanez, der sich ein paar Stoffproben des Schneiders und der Dienerschaft vorführen liess. "Du musst dich immer achten, was Sire Douglas im Moment trägt, Draco. Im Moment trägt er viel grün...daher unser entscheid." Er nickte dem Schneider zu und gab das okay für den Stoff. Sie gingen dann weiter von Zimmer zu Zimmer. Die meisten waren bereits ganz fertig gebaut und reichlich Geschmückt mit Bildern und Blumendekoration. "Du wirst dich für einen bestimmten Kleiderstil entscheiden müssen, Draco. Ich denke Samt passt gut zu dir. Welche Epoche sagt dir zu?"
Draco war hin und weg. Jetzt war er schon so weit, dass er sein eigenes Anwesen bekam. Er hatte damals mit nichts angefangen, hatte sich versteckt und geschämt und jetzt? Draco wusste, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Er war an der richtigen Kreuzung richtig abgebogen. Auch wenn er dazu seine Familie zurück lassen musste. So lange die Tore geschlossen waren, wollte er nicht wieder zurück. Er wollte es nicht riskieren. Chloé hatte sicher Verständnis und sein Vater glaubte eh, er wäre in Australien. Er strich mit der Hand über das Geländer der Treppe, betrachtete kritisch die Stoffe und nickte Yanez zu, als Zeichen, dass er zuhörte und auch verstand. Welche Epoche? Spontan fiel ihm die Renaissance ein, doch bei weiterer Überlegung fiel ihm eine bessere ein. Der spätere Barock. "Der Rokoko" sagte er. Nicht nur, weil sein Ursprung in Frankreich war, sondern auch, weil die Kunst in dieser Epoche einfach atemberaubend war. Dracos Meinung nach.
Yanez freute sich über diesen Entscheid. Wie es aussah, hatte Draco eine gute Wahl getroffen. "Die Lieblingsepoche der Androvskis, Volltreffer", meinte er. Der Schneider begann augenblicklich diverse Skizzen anzufertigen, wähernd sie in das nächste Gemach gingen. Hier befand sich ein gediegender Gästesalon, der bereits ganz fertig gestellt war. Verschiedene Meridiennes schmückten den Raum und schöne Landschaftsbilder. "Wir werden für dich Diener brauchen. Und Mäetressen. Fange niemals etwas mit einer Dienerin an, das gehört sich nicht." Yanez setzte sich auf ein beiges Meridienne und testete den Komfort. Dann erhob sich der Portugiese wieder, zufrieden, und strich einmal über die lange rote Feder seines Kaufmannshutes. "Zwei wären von Vorteil, drei zu viel und eine zu wenig. Du hast doch sicher nichts dagegen, oder?" Yanez blieb vor Draco stehn und stemmte die Hände in seine Hüften. Einen Moment lang schien er zu überlegen und kramte dann ein kleines Zigarren Etuit hervor. "Oh, ich darf doch hier rauchen?"
Draco war überrascht. Das fing doch super an! Während Draco sich den Salon anschaute und gerade auf eines der Bilder zugehen wollte, begann Yanez mit dem Mätressen Thema und er hielt in der Bewegung inne. Bitte was sollte er?! Draco wandte sich zu Yanez um und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. Zwei. Er sollte sich zwei... Doch Draco schüttelte den Kopf. "Wer hat denn nicht gerne zwei Frauen um sich herum" sagte er grinsend und musste an den Englischen König King Henry VIII denken. Nein, bei ihm würde es sicher nicht so Enden, zumal er kein König war. Draco nickte zustimmend. "Ja, benutz aber bitte einen Aschenbecher" Er wandte sich dann wieder zu den Bildern um. "Yanez, wie sieht es aus mit Besuch?" fragte er dann. Immer noch hatte er seine Arme hinter seinem Rücken verschränkt. "Besuch von meiner Familie? Natürlich erst wenn die Tore irgendwann wieder geöffnet sind"
"Was du mit deinen Mätressen machst, ist ganz dir überlassen", meinte Yanez, der gleichgütlig seine Hände hob. Denn vielleicht gehörte Draco ja zu einen der wenigen Männer, die romantisch anders eingestellt waren. "Mir geht es rein ums Image", erklärte er. Sie traten dann in den Korridor hinaus, wobei ihnen Yanez' Diener und der Schneider hinterher trabten. Das wegen der Familie... Natürlich, darüber hätten sie früher oder später sowieso reden müssen. "Von mir aus, kannst du deine Familie sooft einladen wie du möchtest, Draco. Das ist ganz dein Entscheid." Sie blieben dann vor einem grossen Ölgemälde stehn, das Draco zeigte: Stolz und anmutig blickte er dem Betrachter entgegen. Yanez sah hinauf und blickte dann rüber zu dem echten Draco. Der Schneider nutzte die Gelegenheit, in der sie standen und er vermass rasch Dracos Taille und seine Armlänge. "Wir wissen dein Image noch nicht, Draco. Als was willst du dich ihnen präsentieren? Als junger Schüler, der frisch aus Hogwarts kommt? Oder vielleicht als tapferen Seemann, der im 17. Jh. um die Erde segelte? Was du ihnen auch erzählen wirst - man muss es dir abkaufen. Du musst es leben. Diese Leute haben lange Ohren. Und wenn du dir einen Namen machen willst, musst du gut sein." Yanez blickte zu dem Schneidersassistenten, der einige Pergamente in seiner Hand hielt. Diese dienten zum Anfertigen der Skizzen. Yanez liess sich eine leere Rolle geben und riss sich ein Stück Papier ab. "Es gibt etwas, was du wissen musst. Du bist noch nicht an der Spitze." Yanez lief mit dem Papier ins Nebenzimmer, wo er sich neben einer Kommode niederliess und das Papier dann beschriftete. Kritisch musterte er die geschriebenen Worte und erhob sich dann. Er dippte mit seinem Finger auf das Pergament. "Verschiedene Adelsgruppen in Otopia."
Elite Kreis des Vertrauens Kaufleute Armee Franzosen Briten Bonne Société Neureich
"Hier bin ich", Yanez tippte auf die Gruppe der Kaufleute, "und da bist du." Er tippte auf die Neureichen. "Dein oberstes Ziel: Der Kreis des Vertrauens, Freunde von Sire Douglas."
Der Schneider machte Draco nervös. Wie er um ihn herumwuselte und jede Gelegenheit nutzte, um ihm zu vermessen. Als er sein eigenes Portrait betrachtete, lief ihm ein Schauer über den Rücken. So etwas hatte er sich nie gewagt zu träumen. Ein riesiges Bild und nur er allein war darauf abgebildet. Natürlich, wer auch sonst? Er war Herr des Hauses und nicht mehr der Sohn des "Herrn". Innerlich seufzte Draco auf. Wie sollte er das alles seinem Vater erklären? Seit er gebissen wurde, lebte er vor seinem Vater eine Lüge und hatte Chloé mit hineingezogen. Wie würde sein Vater reagieren? Enterben? Oder sich freuen, dass sein Sohn seinen Platz gefunden hatte? In Gedanken versunken folgte Draco Yanez und betrachtete das Pergament. Einen Moment schüttelte er den Kopf, um sich wieder zu konzentrieren. Der Kreis des Vertrauens. Das klang, wie ein hartes Stück Arbeit. "Okay. Ich brauche ein paar Tips, zu meinem Verhalten"
"Die Tipps kann ich dir gerne geben", sagte Yanez, der den beschrifteten Teil dann vom Rest des Pergaments trennte. Sorgfälltig faltete er das Papier mit den Gruppennamen zusammen und reichte es dann Draco. Er lächelte gut gemeint und klopfte Draco auf die Schultern. "Lass dich wegen dem Kreis Vertrauens nicht einschüchtern. Das ist bloss ein Ziel, etwas, auf was du dich hinarbeitest. Und ausserdem ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wichtig ist vor allem, dass du dich in deiner Gesellschaft wohl fühlst. Das ist schliesslich dein Leben. Und möglicherweise wirst du vielleicht niemals in diesen Kreis des Vertrauens kommen - dort bin ich nämlich auch nicht. Vielleicht wirst du einfach bei den Franzosen bleiben...aber das ist immerhin schon eine Leistung. Und wenn es dir dort gefällt, umso besser."
Dankend nahm Draco das Pergament an und nickte leicht. Er war Yanez sehr dankbar und auch allen anderen, die ihm bis hier hin geholfen hatten und ihn weiter unterstützten. Die Entführung nach Otopia und der Aufenthalt im Gefangenenlager hatte Draco eines Beigebracht: Man weiß nie, was das Schicksal noch mit einem vor hat. "Ich werde sehen was passiert" sagte Draco überzeugt. Und wenn das Schicksal ihn niemals in diesen Kreis des Vertrauens brachte, dann war ihm das auch recht.
Die nächste Stunde wurde Draco durch das Anwesen, den Hof und den Stall geführt. Als sie fertig waren, begleitete ihn der Portugiese zu der Kutsche. Nächste Woche würde Draco nicht mehr hierher pendeln müssen, sondern konnte für immer hierbleiben - wenn er denn wollte. "Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch eines, Draco", sagte Yanez darauf. "Dienerschaft. Wenn du welche kennst: Bring sie hierher. Ich werde dir den grössten Teil besorgen." Yanez stieg mit Draco in die Kutsche mitein und sie fuhren dann los durch die goldenen Felder der Lichtvampire. "Bei den Reichen ist es manchmal üblich seine Diener untereinander austauschen, sie zu verschenken. Deswegen musst du vorsichtig sein wie du mit ihnen umgehst. Diener haben lange Ohren, wenn du verstehst, was ich meine."
Draco drehte sich nocheinmal zu seinem Anwesen um, bevor er in die Kutsche einstieg. Einen kurzen Moment stutzte er dann. Diener die er kannte? Sollte er sich etwas welche aus der Zaubererwelt holen? Nein das würde er nicht machen, es sei denn jemand würde ihn dazu anflehen, aber Draco konnte sich nicht vorstellen, dass jemand soetwas machen würde. "Ich denke nicht, dass ich jemanden kenne." sagte Draco darauf. "Und ich denke nicht, dass ich mir einfach so welche holen kann oder?" Einen Moment schaute Draco aus der Kutsche, betrachtete die Landschaft und fühlte sich wie zu Hause. Ja, er war endlich angekommen. "Yanez, wann kann ich in die Zaubererwelt? Ich muss noch etwas erledigen."
Auf Dracos Frage, ob er sich Leute herholen durfte, zuckte Yanez seinerseits die Schultern. "In deinem Anwesen bist du der Herr. Im Prinzip kannst du alles tun, was dir beliebt. Vielleicht wird es einfach nicht immer allen gefallen." Yanez blickte nach draussen und er beobachtete die Natur. Zufriedenheit spiegelte sich in seinen Augen wieder. Yanez, wann kann ich in die Zaubererwelt? Ich muss noch etwas erledigen. "Du darfst hier nicht raus, weil du keine Erlaubnis hast, Draco", sagte Yanez ihm darauf. Fragend musterte ihn der Portugiese. Das zweite Mal sprach ihn Draco schon auf die Zauberwelt an. Die Sache mit seiner Familie schien ihn sehr zu beschäftigen. "Ist es denn sehr wichtig?" Natürlich gab es da immer noch den Schmugglerpfad, der an den Verbotenen Wald knüpfte.
Draco hatte seinen Kopf nach hinten gegen den Sitz gelegt und betrachtete die Landschaft. Nachdenklich... war es denn wichtig? Die Frage war, wie lange es dauerte, bis sein Vater verdacht schöpfte. Wer verbrachte so viele Jahre in Australien ohne einen funken braun zu werden? Ohne Fotos mit zu bringen, andenken oder verrückte Storys? Er hätte seinem Vater sagen sollen, dass er auf einer Expedition im Norden Skandinaviens war. Das wäre vielleicht realistischer. "Es ist nur... ich habe meinen Vater noch nie so angelogen. Also nicht so lange und nicht so... krass" Draco drehte seinen Kopf zu Yanez. "Aber wenn es nicht geht, dann warte ich natürlich. Ich möchte ja keine Dummheiten machen"
Yanez nickte immer zu. Mh", meinte er, während er sich dann eine Zigarre anzündete. "Verstehe. Wenn es dir so wichtig ist... ...da gäbe es natürlich den Weg hintendurch, den Schmuggelpfad. Da könntest du dich in die Zauberwelt reinschleichen."
Den Schmuggelpfad... wahrscheinlich war das auch der Weg gewesen, auf dem er überhaupt nach Otopia kam. "Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit wieder nach Ototopia zurückzukehren?" schließlich war es ein illegaler Weg, der mit Sicherheit irgendwann entdeckt werden würde und gesperrt werden würde.
"Die Wahrscheinlichkeit ist genauso gross, wie du hier rauskommst", meinte Yanez, der wegen dem Schmuggelpfad nicht allzu viele Bedenken hatte. "Du solltest aber aufpassen. Reiche Leute werden in den Wäldern gerne ausgeraubt. Ich mache dir ein Angebot. Dieses eine Mal begleite ich dich. Aber ein weiteres Mal kannst du alleine gehn."