Irland » Straße

Lavinia hatte die Leere im Herrenhaus und die Schweigsamkeit ihres Vaters nicht mehr ausgehalten und
war kurzer Hand raus gegangen. Allein lief sie an Wiesen vorbei und beobachtete Schafe auf ihren Weiden.
Es fuhren nur wenig Autos an ihr vorbei, daher hatte sie sich dazu entschieden in der Mitte der
Straße zu laufen. Lavinia richtete ihren Schal, den sie sich umgebunden hatte und schob ihre Hände
in die Jackentasche. Sie fragte sich oft, warum ihr Vater einfach den Raum verließ, wenn sie ihre
Geschwister erwähnte. Ob er sauer oder gekränkt war wusste sie nicht.
Lavinia erinnerte sich daran, dass Pharys und ihr Vater sich gestritten hatten und er daraufhin gegangen war.
Yvain war da schon lange verschwunden gewesen und von Liana kamen immer seltener die Briefe.
Nur Arya war lange bei ihnen geblieben, doch war auch sie irgendwann weg gewesen.
Lavinia atmtete tief ein und seufzte dann.

Nicht lange dauerte es und ein weiteres Auto fuhr an Lavinia vorbei.
Es blinkte und hielt dann schliesslich rechts an, auf dem halben Bürgersteig.
Tony Leung stieg aus und er hielt sogleich seine Dienstmarke hoch.
Denn er wär nämlich Polizist, zuständig in Irland.
"Dumm gelaufen, junge Dame.
Die Strasse ist wohl kaum für Fussgänger da."

Lavinia erschrack, als ein Auto kam und flüchtete schnell auf den Bürgersteig.
Sie schaute dem Polizeiauto nach und blieb stehen, als es parkte.
Als Tony ausstieg und sie ansprach, begann ihr Herz zu klopfen und sie rechnete schon damit
verhaftet zu werden. "Aber..." stotterte sie und schaute sich um. Weit und breit war niemand.
Lavinia ließ ihre Schultern hängen und ging langsam auf Tony zu, blieb dann jedoch stehen, um Abstand zu bewahren.
"Darf ich die Dienstmarke sehen?" fagte sie und hielt ihre Hand auf. Sie misstraute ihm.

Tony hob die Augenbraue.
Er hob die Dienstmarke schliesslich hoch, so dass Lavinia von ihrem Standort aus lesen konnte.
In die Hand drücken würde sie ihr die Marke nicht.
"So, und dann würd ich gerne deinen Ausweis sehen.
Wenn wir schon dabei sind Persönlichkeiten auszutauschen."

Lavinia verdrehte die Augen und öffnete den Reißverschluss ihrer Handtasche.
Sie nahm einen Personalausweis hervor und hielt ihn Tony hin.
Darin war ein Foto von ihr, als sie noch jünger zu sein schien.
Laut Ausweis war sie in Dublin am 02.04.1995 geboren. Sie war nun 18 Jahre alt
und ihr Name war Lavinia Wulf.
"Und jetzt? Verhaften Sie mich?" fragte sie.

Tony betrachtete sich einmal kurz die Daten.
Er notierte sich Lavinias Name auf einen freien Zettel.
Und jetzt? Verhaften Sie mich?
Tony schmunzelte leicht.
"Weshalb - möchtest du das gerne?
Nein, es wird eine kleine Busse geben.
Deine Adresse brauch ich noch."
Er reichte ihr den Personalausweis zurück.

Lavinia zögerte, als Tony ihre Adresse haben wollte.
Ihr Vater hatte es nie gerne gesehen, wenn sie ihre Adresse weitergeben hatte.
Er liebte nun einmal die Einsamkeit und hasste es immer, wenn Besuch da war.
"Wenn Sie die danach sofort wieder aus ihrem System löschen, okay" sagte Lavinia und
schaute Tony aufmerksam an.

Tony hob eine Augenbraue.
"Ja, okay", sagte er dann sogleich.
Er drückte seinen Stift und hielt ihn an den leeren Notizblock.
Abwartend sah er Lavinia entgegen.

Lavinia seufzte und nannte ihm dann die Adresse zu dem Herrenhaus in dem sie lebte.
Sie machte danach eine kurze Pause und beobachtete Tony genau.
"Vergessen Sie nicht es zu löschen, sonst werden Sie Probleme bekommen" aus ihrem Mund klang
das Ganze wie eine kindliche Drohung. "Mein Vater hasst es, wenn man vorbeikommt oder wenn Sie seine
Daten verkaufen und ihn dann anrufen, um ihm etwas zu verkaufen" erklärte sie und verschränkte die Arme.

Tony hob die Augenbrauen.
Ungläubig sah er Lavinia entgegen.
Wollte sie ihm gerade etwa drohen? xD
"Ich bin ein Bulle, und kein Versicherungsverkäufer", sagte er ihr.
"Aber eine kleine Rechnung wird er wohl entgegen nehmen müssen."
Tony notierte sich die Adresse zuende.
Dann steckte er sich das kleine Büchlein wieder ein.
"Das wars.
Nicht mehr auf der Strasse gehen."

Lavinia legte leicht den Kopf schief und schien zu grübeln.
"Haben Sie sich jetzt nicht gerade selbst beleidigt?" fragte sie. "Bulle ist doch ein Schimpfwort"
fügte sie dann besserwisserisch hinzu und verschränkte die Arme.
Einverstanden nickte sie. "Aye Aye, Bulle" Lavinia grinste breit und schob ihre Hände in die Hosentasche.

Tony musste leicht schmunzeln ab Lavinias Art.
"Du bist ganz schön frech.
Gibst du auch so zu Haus den Ton an?"
Er verschränkte in Folge leicht die Arme.
"Wenn du mich Bulle nennst, ja, dann ist es wirklich ein Schimpfwort.
Und ich würde besser aufpassen, wie du dich ausdrückst, junge Dame.
Jetzt weiss ich deine Adresse und könnte dir eine Menge Strafzettel zukommen lassen."
Er zwinkerte leicht.
"Nein, Scherz beiseite.
Wir wollen deinen verehrten Daddy schliesslich nicht verärgern.
Der...wie war das gleich nochmal?
Nicht gerne Dinge kauft.
Womöglich schlechte Erfahrungen mit Adventssängern oder Staubsaugervertretern?
Wie ist es mit Postboten?
Hat er einen bissigen Hund?"

Lavinia antwortete nicht auf seine Frage, ob sie zu Hause den Ton angab.
Was bei den Wulfs zu Hause abging, sollte nicht die Haustür verlassen.
Zumindest hatte ihr Vater darauf immer sehr viel Wert gelegt.
Als Tony dann weiter redete, kam es Lavinia so vor, als würde er sich über ihren Vater lustig machen.
"Mein Vater hasst Vertreter und allgemein jeden der ihm etwas andrehen will. Das bekommen die dann
auch zu spühren" Lavinia klang, als spräche sie aus Erfahrung.
Sie begann dann zu grinsen. "Ja er hat einen... Hund" kicherte sie. "Aber den wollen Sie nicht kennen lernen"
Diesesmal zwinkerte sie ihm keck zu.

Tony lachte einmal kurz auf.
"Das glaub ich auch nicht", sagte er und schmunzelte.
In seinem Wagen machte sich die Zentrale bemerkbar.
Das war sein Stichwort.
"Tja dann.
Auf wiedersehn."
Der Chinese wandte sich um trat in sein Auto zurück.