RE: Wald - 20

Lucy war zusammen mit ihrer Schwester unterwegs durch den Wald.
Sie wollten den schönen Tag genießen, hier und da ein Blümchen flücken und Onkel Curtis eine Freude machen.
Das kleine Mädchen hielt ihren Teddy im Arm, der im Übrigen auch Felix hieß.
Das Entchen war abhanden gekommen, nun musste dieses Plüschtier für jegliche Unternehmungen herhallten.
"Also Süße, wollen wir Verstecken spielen? Hast du Lust?"
"Auja!"
"Gut, dann lauf du los und versteck dich und ich komme dich bald suchen."
Ruby wandte sich einem Baum zu und verdeckte ihre Augen.
"1, 2, 3, 4..."
"Darf Felix auch mitspielen?"
"Sicher", lachte die junge Frau und zählte weiter. "...5, 6, 7.."

Daraufhin strahlte das kleine Mädchen, drehte sich um und verschwand zwischen den großen Bäumen, die genügend Platz gaben, sich ganz in der Nähe zu verstecken.
Doch Lucy wollte weiter in den Wald hinein und dahin lief sie auch!

Wie durch Geisterhand machte sich plötzlich ein starker Wind auf, der sogleich auch wieder nachließ.
Ein wenig verängstigt blieb klein Lucy an Ort und Stelle stehen, Felix an sich drügend.
Ruby war schon lange aus Sichtweite und würde wohl eine Weile brauchen, sie zu finden.
Plötzlich! Eine Stimme!

"Schwesterchen, komm, tanz mit mir,
beide Hände reich' ich dir,
einmal hin, einmal her,
rundherum, das ist nicht schwer."

Den Vers des Kinderliedes hauchte scheinbar der Wind.
Und ebenso das darauffolgende, bestimmte Lachen schien diesem anzugehören.
Mit großen Augen stand das Mädchen da und lauschte.
Doch ein erneuter, kräftiger Windstoß folgte und Lucy war verschwunden.

"Lucy, ich komme!", rief von weiten Ruby kichernd, die von alle dem noch nichts mitbekommen hatte.

Der Wald war mit weißem Schnee bedeckt. Es war kalt und hier und da
flog ein kleines Vögelchen auf den Boden um etwas essbares aufzupicken.
Es wurde jäh aufgeschreckt, als Sky den Weg entlang rannte.
Er war außer Atem, doch er zwang sich weiter zu rennen. Er wollte rennen.
Wollte weg, einfach nur weg. Irgendwohin. Doch wohin?
Wenn er stolperte, stand er wieder auf, wenn er hinfiel, rappelte er sich wieder auf und
ließ weiter. Immer weiter, immer weiter, bis sich schon alles drehte und ihm schlecht wurde.
Die Worte seines Vaters ließen ihn nicht los. Sie schnürten seinen Hals zu und ließen
ihn nach Luft schnappen. Diana... es war nicht der Name seiner Mutter...
Sky ballte seine Hände zu Fäusten. Thomas... Saskia... Wer waren diese Menschen?
Mit einem gekonnten Sprung, sprang Sky über einen umgefallenen Baumstamm und lief stolpernd weiter.
Wie ein irrer hetzte er durch den Wald und wich den Bäumen aus. Er war längst
vom Weg abgekommen, doch dies ließ ihn nicht innehalten.
Das Bild der Beerdigung seiner Mutter tauchte in seinem inneren Auge auf und er schüttelte den Kopf.
Sky lief immer schneller und fiel auf die Knie, als ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde.
Mit geballten Fäusten schlug er hart auf den Schnee ein und sackte schließlich zusammen.
Heiße Tränen liefen über seine Wange und zitternd rollte er sich zusammen.
Vielleicht würde er erfrieren und sterben. Ihm war es nur recht.

[Ich bin mal so frei]

Und wiedermal traf Mayleen auf Sky. Wieder in diesem Wald in England, nahe der Stelle, an der sie
ihn zum ersten mal getroffen hatte. Viel Zeit war seitdem ins Land gegangen, ihre letzte Unterhaltung
klang ihr noch schwach in Erinnerung. Leise streifte Mayleen durch die Bäume und betrachtete den
zitternden Sky. Sie erkannte ihn wieder. Sie empfand Abneigung, als sie ihn so daliegen sah, doch
jeder Mensch hatte eine zweite Chance verdient, also ging sie auf den jungen Mann zu. Sky sah
schrecklich aus. Völlig fertig mit den Nerven. ,,Hallo? Können Sie mich hören?'' fragte sie vorsichtig
und breitete schon einmal ihren Umhang auf Skys Körper aus. Wer weiß, wie lange er schon da lag.

Sky zitterte nun auch vor kälte. Seine Lippen waren bereits leicht blau angelaufen
und seine Augen halb geschlossen. Auch seine Sinne waren getrübt und
er hörte Mayleens Stimme nur durch Watte. Schwach. Doch er hörte sie.
Sky fuhr sich zitternd mit der Hand über das Gesicht und nickte.
"L-l-assen Sie-...m-mich" flüsterte er.

Gut, Sky war nun mehr oder weniger wach, aber in einem miserablen Zustand.
,,...nicht hier liegen, genau.'' beendete sie Skys Satz obwohl sie wusste, dass
der dies garantiert nicht sagen wollte. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber gewesen
hier draußen zu sterben, doch diesen Gefallen würde Mayleen ihm nicht tun. Ohne weiter
darüber nachzudenken nahm sie Sky's Hand und apperierte.

Versteckte Wohnung Fam. Conmara