RE: Wohnung Ian Bailey - 70

"Der Arme"
Sie hielt dann inne und schaute Ian argwöhnisch an.
"Wieso hast du ihn aufgenommen?"

"Weil ich seine Mutter kannte", sagte Ian.
"Und man sie sonst in ein Heim geschickt hätte. Sie war krank und hat sich schliesslich das Leben genommen."
Diese Ausquetscherei war unangenehm, doch Joyce konnte das gut. xD

Joyce hob eine Augenbraue.
"Ian ich kenn dich. Du würdest dir lieber eine Axt ins Bein rammen anstatt
jemanden aufzunehmen, dessen Mutter du nur gekannt hast"
Sie schlug die Beine übereinander.
"Du magst Kinder nicht, wieso solltest du dann eines Aufnehmen, wenn du nichts
damit zu tun hast?"

Ian stöhnte genervt.
"Na schön, sie war eben eine gute Freundin von mir, okay? Ich hab sie als Kind gekannt und später hat sie mir leid getan, weil sie mit diesem Monster Torvus verheiratet war. Das ist alles."

Joyce sah ihn an.
"Torvus? Der wurde doch ermordet richtig?"

Ian nickte.
"Ja, von seinem Sohn. Kierans Bruder."
Ian runzelte die Stirn.
"Warum interessiert dich das alles so unglaublich? Hab ich einen Fehler gemacht?"

Joyce schüttelte den Kopf.
"Nein es wundert mich nur ein bisschen, dass gerade du einen
Jungen aufgenommen hast, dem du in Hogwarts alles verboten hast"

"Naja, ich ähm..."
Ian stoppte.
Er blickte finster zu Joyce.
"Er ist...mein Sohn."

Joyce Augen weiteten sich ein wenig.
"Was? Ne das ist ein Sche- hä?"
Sie schaute gerade aus und überlegte. Das konnte nciht...
nein nicht Ian! Ian!
"Gut ääh... oke." Sie schaute Ian dann wieder an, sagte jedoch nichts.

Ian blickte unberührt zu Joyce.
"Ja", sagte er.
"Willst du jetzt gehn?"

Joyce stand auf.
"Wenn ich störe."
Sie ging zur Tür und blieb stehen.
"Ich finde es schön, dass du dich jetzt um Kieran kümmsert. Besser jetzt als nie"
Ihre Stimme war ruhig.
Dann verließ sie Ians Wohnung und ging.

Das hätte Joyce nicht sagen sollen.
Zumindest hätte sie nicht einfach so gehen sollen.
Dieser Vorwurf wühlte ihn auf und ging ihm durch Mark und Bein.
Nein, hinterher rennen würde er seiner Cousine nicht.
Und er hatte auch nicht gezeigt, wie sehr ihn das berührte.
Er war kein Fan von "Sich-Berichtigen", zumal er oft andere damit aufzog.

"Wie war Mum so? Du hast sie als Kind gekannt, nicht?"
Kieran und Ian sassen beide zusammen im Wohnzimmer.
Er hatte wie immer ein Glas Wein in der Hand, Kieran hatte nichts.
Der junge hockte quer über seinem Sessel und das bisschen wenige Licht vom Kamin beleuchtete seine Gesichtszüge.
"Ja, das habe ich", antwortete Ian, dem das Ganze nicht allzu leicht viel.
"Deine Mutter und ich haben uns als Kind kennen gelernt. Ihre Familie lebte in der gleichen Strasse. Sie waren sehr reich, musst du wisen."
"Ja das weiss ich", sagte Kieran.
"Sonst hätte Dad sie nicht geheiratet."
"Dein Vater wollte diese Hochzeit so wenig wie sie, es war von den Eltern arrangiert, eine Reinblut-Sache."
Kieran runzelte die Stirn.
"Woher sollst du das wissen, hast du ihn gefragt?"
Ian verdrehte die Augen. Er schüttelte den Kopf.
"Nein, natürlich nicht. Aber deine Mutter und dein Vater haben sicherlich nicht vom ersten Tag an so gelebt, wie sie es später taten. Man bekam gewisse Dinge mit, deine Mutter hatte einige Zeit noch Kontakt mit mir. Solche Dinge entwickeln sich, deine älteren Geschwister sind auf jeden Fall zu anderen Bedingungen aufgewachsen als du beispielsweise, oder dein Bruder Levin."
Kieran verzog den Mund.
Er versank kurz in Gedanken, so hatte er es sich noch nie überlegt.
Ob Anthony wohl jemals mit seiner Mutter gesprochen hatte?
Was hätte sie ihm gesagt?
"Und zu der Frage, wie deine Mutter so war..."
Ian erweckte wieder Kierans Aufmerksamkeit und gespannt blickte der Sohn zu seinem Vater.
"Nunja, sie war...Severa war...sie war sehr geschickt. Alles was ihr zwischen die Finger kam, machte sie gut. Wunderschön. Sie hatte die Eigenchaft alles erblühen zu lassen. Ein talentiertes Mädchen, sehr verträumt und verspielt."
Vielleicht war sie auch etwas naiv.
Kieran hörte Ian zu und er versuchte sich das ganze an seiner Mutter vorzustellen. Ja, sie war eine wunderbare Köchin gewesen und hatte Sirenas Kleider alle selbst genäht.
Er schniefte kurz.
"Hast du sie geliebt?"
Ian verkrampfte sicht leicht und im innern fühlte er einen leichten Stich.
Er runzelte die Stirn.
Da war sie also, diese klassische Frage.
"Wir waren noch so...jung, Kinder-"
"Aber aus einem Grund bin ich ja heute hier!", protestierte Kieran und Ian seufzte.
"Ja, ja, ich weiss schon. Lass mich doch...erklären! Ich war ein Teenager, als deine Mum geheiratet hatte. Wir waren unterschiedlich alt und wir kannten uns vom Spielen, von früher. Ich hatte sie sehr gerne und später, da...als immer mehr über den traurigen Zustand deiner Mum gesprochen wurde, habe ich mir sorgen gemacht. Wir haben uns hie und da getroffen, geredet und so. Sie war verheiratet, Kieran. Sie zu lieben, das...kam mir gar nicht in den Sinn! Und dann habe ich sie nicht mehr gesehn. Sie hatte ihre Kinder und wurde wohl auch nicht mehr aus dem Haus gelassen. Dein Vater - ich meine Fineas - wurde zu der Zeit bevördert, glaube ich, für irgendwelche bahnbrechenden Ergebnisse über die Psychoanalyse und das Experimentieren von Grenzfällen an Kindern, was weiss ich. Du kannst dir ja denken, an wem er das ausprobiert hat."

Kieran zuckte leicht und ein Kalter Schauer ging ihm über den Rücken.
Julie und Michael kamen ihm durch den Sinn.
Er atmete schwer.
"Sie haben sich das Leben genommen" , sagte er mit leser Stimme.
"Kommt vor bei euch, soll ich abbrechen?"
"Nein, ich will es wissen!"
Ian nickte.
"Na schön. Wie gesag, danach habe ich deine Mutter eine lange Zeit nicht mehr gesehn. Vielleicht ganze 10 Jahre, oder länger, wer weiss. Und schliesslich, als ich sie schon nicht mehr kannte, kam sie eines Abends unerwartet zu mir. Sie war verzweifelt und - das war jetzt etwa vor 18 jahren - und sie wollte...naja, keine Ahnung. Sie hatte sich davon geschlichen und wollte weg, alles im Stich lassen und das...habe ich ihr nicht ausgeredet, aber sie auch nicht motiviert. Du kennst mich ja."
Kieran verdrehte die Augen.
"Ja, diese Gleichgültigtuerart hattest du also schon damals, toll!"
Ian blickte ihn vorworfsvoll an und machte dann eine Pause.
Kieran stöhnte leicht.
"Na schön, du hast sie also getröstet, bisschen sehr getröstet und dann hatte sie mich im Bauch. Hast du sie nochmal gesehn?"
"Es war ein Unfall", rechtfertigte sich Ian darauf.
"Danke, dass du mich als Unfallsprodukt bezeichnest."
Er stand auf und wollte gehn, doch Ian sprang nun plötzlich auch auf und bittend sah er zu Kieran.
Er wollt das zuende bereden.
Kieran drehte sich um und kopfschüttelnd blickte er an die Wand.
Echt, das war doch alles zum Kotzen.
Und da er nichts mehr sagte, sagte Ian etwas.
"Ich wusste nicht, dass es dich gab. Ich habe versucht deine Mum zu erreichen, aber ich bin nicht mehr an sie ran gekommen. Und ich hatte zu dieser Zeit eigene Probleme, grosse Probleme, die mich dann...ziemlich-"
"Ach, und was waren das für Probleme?", fuhr ihm Kieran wütend dazwischen und er hatte sich umgedreht. Er blickte seinem Vater unzufrieden ins Gesicht.
"Mit meinen Eltern", sagte Ian.
"Und was für welche?"
"Darüber will ich nicht reden."
Kieran seufzte schwer.
"Wirklich, das...das habe ich nicht nötig."
Er wandte seinen Blick enttäuscht ab und lief nach oben in sein Zimmer.

Es war bereits Nacht und Kieran konnte kein Auge zu tun.
Er lag seitwärts gegen die Wand blickend und sich ein paar Tränen abwischend.
Bei Fineas hatte er sich stets als Ergebnis einer Vergewaltigung gefühlt, nun kam es heraus, dass er sich als Produkt eines Unfalles abfinden musste.
Kieran seufzte schwer.
War er denn wirklich so ungewollt in dieser Welt?
Hätte es ihn von allen Seiten her gar nicht geben dürfen?
Vielleicht ja...dann wären seine Mutter und Sirena jetzt nicht tot.
Und Anthony nicht in Azkabahn, so war sich Kieran sicher.
Die Türe öffnete sich einen Spalt und Ian kam herein.
Er setzte sich an Kierans Bett und blickte besorgt zu diesem.
Kieran machte keine Anstalten sich umzudrehen und Bailey ins Gesicht zu sehn.
Es war still und der Torvus seufzte innerlich.
Ian konnte wohl nie über seinen Schatten springen.
Es bloss anbieten.
"Leben sie noch?", fragte Kieran schliesslich in gehässigtem Ton.
"Wer, deine Grosseltern?"
"Ja", murmelte Kieran schnaubend und diese Frage interessierte ihn eigentlich wirklich.
Von der älteren Generation in seiner Familie war nie gesprochen worden, wie Ians Eltern wohl so waren?
"Ja" , sagte Ian und erneute Stille herrschte.
"Wo sind sie?"
"Sie sind in Azkabahn", sagte Ian und Kieran drehte sich erstaunt um.
Der Ärger von vorher war verflogen.
"Wirklich?"
Ian nickte seufzend.
"Ja."
"Seit wann denn?"
Ian biss sich auf die Zunge.
Für ihn war das belastend und schwer, doch Kieran war sein Sohn und irgendwem musste man es ja anvertrauen.
"Seit der Vernichtung Voldemorts."
"Oh..."
Verblüfft sah Kieran zu Ian und er schluckte leicht.
Er verstand. Sie waren Todesser gewesen.
Ian verzog leicht quälend das Gesicht und er faltete leicht beschämt die Hände.
"Als ich in Hogwarts herausgefunden habe, nach und nach, dass du...wirklich mein Sohn sein könntest, da...weisst du, was ich da gedacht habe?"
Kieran hob eine Augenbraue.
"Nein."
"Stolz", sagte er und Kieran öffnete verwundert den Mund.
"Ja, ich bin wohl noch nie stolz auf irgendetwas gewesen in meinem ganzen Leben, nur auf dich."
Kieran lächelte schwach.
Das von Ian zu hören, der deswegen auch ziemlich verkrampft und unsicher schien, war so einiges Wert. Und Kieran glaubte es ihm.
"Danke" , sagte er dann und Kieran erhob sich wieder vom Bett.
"Schon gut" , sagte Ian in leicht verbittertem Ton und er lief zum Ausgang.
An der Türe blieb er noch kurz stehn und drehte sich wieder zu Kieran.
"Gute Nacht."
Kieran blickte ruhig zu seinem Vater und sah ihn dann verschwinden.
"Gute Nacht!" , rief nun auch Kieran und die Türe schloss sich.
Der ehemalige Slytherin drehte sich zurück gegen die Wand und liess sich das ganze Gespräch nochmals durch den Kopf gehn.