RE: Wald - 11

"Junge Frau", kam es nun von Shu, die Ruhe in Person.
"Ich glaube, dass Sie Hilfe brauchen."

Aresus Blick wurde auf einmal kläglich, als der Fremde das sagte.
So etwas hatte noch niemand zu ihr gemeint.
Ich glaube, dass Sie Hilfe brauchen.
Dieser komische Kauz in dem langen Kleid schien sie wohl besser zu kennen als der Rest der ganzen Welt hier.
Schon traurig.
Doch anstatt zu antworten: "Ja, Ja die brauche ich!", was ihr Herz auch aus ganzen Leibeskräften schrie, öffnete Aresu ihren Mund und sah mit ganzer Verachtung zu Meister Shu.
"Sie wissen doch gar nichts", zischte sie und wandte ihren Blick fort.

"Ein Allwissender wäre nicht mehr aus Fleisch und Blut", antwortete Shu darauf und er lächelte friedlich.
Nein, er war der jungen Frau gegenüber nicht böse oder feindselig.
Diese Frau wusste doch im Grunde selber nicht, was sie ihm da sagte.
Diese Frau hatte nichts erlebt. Genauso, wie alle anderen Europäer hier. Sie schätzten den Wald zu wenig, und genau das zeigte ihre Unwissenheit.
Die Unwissenheit über das Leben und ihre Unerfahrenheit.
Aresu seufzte und sie sah noch immer weg.
Doch sie machte keine Anstalten mehr zu gehn, hatten seine Worte sie doch noch beeindruckt? Zumindest war da etwas, das sie hielt.
Und so versuchte es der erfahrene Lehrmeister ein weiteres Mal.
Mit den selben Worten, der selben Sanftheit in seiner Stimme.
"Junge Frau. Ich glaube, dass Sie Hilfe brauchen."

Ein schwerer Seufzer kam von Aresu und sie sah den alten Mann an.
Der ganze Zorn war wie verflossen.
Nur noch Ratlosigkeit und Schmerz in ihrem Gesicht zu sehn.
"Sind Sie ein Engel?"

Die Frage kam wie aus dem Munde eines Kindes.
Meister Shu musste lächeln.
"Nein", antwortete er und faltete friedlich seine Hände.
"Glaubst du denn an einen Gott?"
Aresu schüttelte schnell den Kopf.
Nein, daran glaubte sie nicht.
Er hatte es nicht anders erwartet, daher seine Frage.
"Das solltest du aber tun. Jeder Mensch, jedes Wesen braucht etwas, woran er glauben kann. Ein Ziel, einen Sinn. Ich bin Shu, viele vor dir haben mich ihren Meister genannt. Ich bin ein Mentor."

Es war ein kühler Morgen und Aresu fand den alten Meister an einer Lichtung stehen und meditieren.
Sie seufzte leise und richtete ihre Kaputze.
Worauf sie sich da einliess und warum, wusste wohl kein Mensch.
Aber was sollte es.
Tiefer konnte sie wohl kaum noch sinken.
"Hi, ich bin jetzt hier", sagte Aresu, die dann vor Shu trat und ihre Hand leicht hob.
Meister Shu öffnete langsam seine Augen.
"Ich weiss", sagte er und deutete dann auf einen Platz am Boden neben sich.
"Heute werden wir tief in deinen Geist gehn. Du wirst lernen, dir selbst zu begegnen."
Aresu hob skeptisch eine Augenbraue.
Sie setzte sich dann neben ihn und strich sich über die Haare.
"Ich halte eigentlich nicht viel von Yoga", meinte die junge Frau schliesslich und sah, wie Shu wieder seine Augen schloss.
"Ich denke nicht, dass das hilft oder so. Ich habs schonmal probiert, aber-"
Sie hielt inne und wartete kurz die Zeit ab.
Nichts geschah.
Schliesslich seufzte sie und schloss dann selber ihre Augen.
Stille.
"Also was genau ist der Zweck dieser Übung? Herausfinden, wems schneller langweilig wird?"
"Du musst lernen, den Wald zu respektieren, junge Aresu. Lernen darin zu lauschen und zu erkennen, wie die Pflanzen zu dir sprechen."
"Wie die Pflanzen zu mir sprechen...klasse. Na schön...ommm...ein kleines Omm zur Unterstützung darf ich brauchen, ja?"
Shu stand auf und Aresu hob ihren Blick.
"Komme wieder, wenn du bereit bist, zu lernen. Und wenn du ernst nimmst, was ich dir sage."
Daraufhin ging Meister Shu und liess sie alleine.

Saskia hatte sicherlich nicht die richtigen Schuhe und das richtige Outfit an für den Wald, aber das musste sie jetzt hinnehmen.
Sowieso wohnte sie ja in einer Waldhütte, sie musste sich das gewohnt sein.
Olak ging nicht zu tief hinein.
An einem einst abgebrannten Lagerfeuer machte er halt, noch einige Wolldecken befanden sich auf dem Boden.
"Hier raste ich", sagte Olak und er liess sich auf eine der Wolldecken nieder.
Der Otopianer griff sich zwei Feuersteine und entfachte innert kurzer Zeit ein warmes Feuer.

Mit verschränkten Armen beobachtete Saskia, wie Olak sich hinsetzte und das Feuer entfachte.
Sie hatte wenig schwierigkeiten gehabt ihm zu folgen, da sie es gewohnt war
in hohen Schuhen durch Schnee, Match oder Sand zu laufen.
Na hier ist es ja wunderschön...
"Wie romantisch" kommentierte sie und setzte sich neben ihn auf eine Wolldecke.

"Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was romantischer sein könnte", sagte Olak und deutete dann nach oben auf die Baumkronen.
Hie und da schimmerten einige Sterne zu ihnen hindurch.
"So etwas solltet ihr hier schätzen. Bei uns haben wir diese Aussicht nicht.
Ein wahrer Augenöffner."
Olak öffnete einen Beutel und nahm sich etwas rohes Fleisch heraus.
Er verteilte dieses dann auf einzelne Steine um das Feuer herum und reichte Saskia dann einen schweren Filzmantel, den sie sich umwerfen konnte wegen der Kälte.

Sie folgte seinem Blick hinauf.
Ja es sah schön aus. Aber wie sollte ihr das weiterhelfen?
Saskia nahm den Mantel an. "Danke" sagte sie leise und legte ihn sich dann um.

Olak liess das Fleisch nach und nach etwas vor sich hin braten.
Hie und da griff er einen Stein und hielt ihn ein paar Minuten unter das Feuer, während er seine Hände abwechselte.
Dann legte er das rohe Fleisch direkt auf den heissen Stein und es zischte laut und spritzte ein wenig.
"Du bist meine erste Anhängerin", sagte Olak dann offen zu Saskia und er nahm sich einen neuen Stein.
"Hast du gewusst, das euer Land mit Otopia kooperiert? Handel treibt?"

Interessiert schaute Saskia zu ihm.
Wirklich?
"Nun ich habe mitbekommen, dass einige Kinder einer Schule nach Otopia entführt wurden."
Sie schaute ihn an.
"Ich hoffe du wirst mich nicht an irgendjemanden verkaufen"
Derek ihr Bruder hatte ihr damals alles erzählt.

Schüler nach Otopia entführen.
Olak schüttelte leicht den Kopf, ja, das kannte er.
"Heute ist das unüblich, früher ist das in Scharen geschehn", sagte Olak, der sich in den Wäldern gut auskannte.
"Früher waren Sklave in Otopia gang und gäbe. Heute sind Diener mehr gefragt."
Er probierte dann ein kleines Stück Fleisch und schnitt Saskia einen Teil ab.
Ja, jetzt war es einigermassen gekocht.
Er hielt es ihr hin.
"Ich verkaufe niemanden und nichts, keine Angst.
Ja, es stimmt...Otopia treibt Handel mit eurer Welt.
Nur weiss niemand davon, weil es kein politisches Bündnis gibt.
Und weisst du warum?"
Olak sah zu Saskia.
Natürlich, das konnte sie erst recht nicht wissen, es war eine rethorische Frage.
"Weil eure damaligen Herrschen - die Marcusianer - den König beleidigt haben.
Seither hat sich niemand mehr um eine Wiedervereinigung gekümmert."

Saskia nahm das Fleisch und wechselte immer wieder die Hand, da es noch heiß war.
"Und du willst dich darum kümmern, dass es wieder ein politisches Bündnis gibt?"

Olak überlegte.
War das sein Ziel?
Gute Frage.
"Nein", sagte Olak dann und hielt kurz inne.
"Oder doch. Nein, es ist nur so...ich weiss es selber nicht, was ich machen will.
Ich weiss nur, wenn diese Welt aufwachen würde und dem König entgegen käme, dann könnten wir ein Bündnis aufstellen.
Also schön, ich bin für ein Bündnis, ja."
Olak biss in sein Fleischstück und liess es sich schmecken.
Einen Moment lang schwieg er einfach nur und ass.