RE: Bar - 84

Marc lag auf seiner Matratze und starrte gelangweilt zu - der nach unten baumelnden - Glühbirne.
Heute war der zweite Tag und abgesehen von einer Essensration, die ihm Pete am Mittag gebracht hatte, hatte er niemanden heute mehr gesehen.
Das Buch mit den neunhundert Versen war aufgeklappt und ein Fuss des Benelgs ruhte darauf, als wäre es ein Schemmel für die Füsse.
Marc gähnte auf einmal und schloss dann seinen Mund wiederum, ausdruckslos starrte er vor sich hin.
Nichts...
Die Zeit ging quälend langsam vorbei.
Sekunden wandelten sich zu Minuten, Minuten in Stunden, Stunden in Jahre.
Marc setzte sich auf einmal auf und blickte lustlos zu den Treppenstufen.
Nicht lange und der Chinese probierte aus Langeweille einige Sitzmethoden auf der Treppe aus, am Ende baummelte Marc mit dem Rücken an der Treppenwand runter und mit den Beinen klammerte er sich von oben am Gelände fest.
So machte er es der baummelnden Glühlampe gleich, doch viel änderte sich aus der Langeweile dadurch nicht.
Marc runzelte auf einmal die Stirn und richtete sich etwas keuchend wieder hoch.
Er stellte sich dann auf seine Füsse zurück.
Mulmig presste er die Lippen aufeinander und schlussendlich sehr verägert verpasste er dem Gelände einen Kick.
Kaum auszuhalten war es!
Marc wollte raus!

Kate lag auf ihrer Matte und verweilte in Gedanken.
Alte Erinnerungen waren es die ihr durch den Kopf gingen.
Hätte sie jemals gedacht, dass es soweit kommen würde?
Zuerst zu einer jahrelangen Entführung?
Ja, selbst die Liebe zu einem Otopianer?
Wie sich das mit ihrer Familie zurzeit entwickelte?
Schon der zweite Tod eines ihrer Söhne.
Leicht musste sie schlucken und ihr Atem kam etwas unruhiger.
Ihre Körperhaltung entspannte sich dann aber wiederum angenehm.
Kates Zustand hatte sich innerhalb der beiden Tage verbessert, als Katsumi sie damals im Krankenhaus belehrt hatte, war Kate zu baff gewesen, um sie wirklich zu verstehen.
Als eine Art Vorwurf, hatte sie die Bedeutung daraus vernommen.
Doch so hatte es Katsumi bestimmt nicht gemeint.
Zu schnell war es gegangen, doch nun im Nachhinein begann die Mara über seine Worte nachzudenken.
Diesen Augenblick der Stille und des Friedens musste man ausnutzen.
"In Otopia gibt es solche Anstalten nicht. Wenn eine Frau stirbt an einer Krankheit, dann soll es so sein. Diese künstlichen Methoden sollen dich nicht ins Vertrauen ziehn."
Für andere wirkten sie hart, doch für Kate war es faszinierend.
Es war, als hätte man selber nicht das recht dazu, zu entscheiden wenn man stirbt, ja selbst sich darüber zu beschweren, nicht einmal dann hätte man einen Grund dazu.
So wirkte es auf Kate.
Wenn man starb, dann zu recht.
Nur was meinte Katsumi mit Vertrauen?
Doch wer entschied den schlussendlich über Leben und Tod?
Wer sucht für alle diesen Moment aus?
Kates Haltung wurde immer wie aufmerksamer, (es hatte sie gepackt), als würde aus ihrer innerlichen Suche nach einer Antwort, auf einmal ein Zeichen vom Himmel erscheinen.
Doch das geschah nicht...
Weiter schwänkten Kates Gedanken auf der Suche nach Leben und Tod, weiter zu Sidney und Céline.
Kates Gesichtsausdruck schien einen Moment etwa innehaltend, sie konnte die beiden förmlich vor sich sehen.
Ob Céline es geahnt hätte, jemals getötet zu werden?
Kate schwieg und blickte ruhig vor sich her.
Ja... Kate glaubte, dass sie es geahnt hatte.
Céline schon, doch Sidneys verderben war es, bei seiner Schwester gewesen zu sein.

Auf einmal klopfte es draussen vor Katsumis Tür.

Katsumi sass auf seiner Japanischen Matte, vor den brennenden Kerzen und er hatte seine Augen geschlossen.
Als es klopfte, dauerte es eine Weile, bis man seine Stimme von aussen hörte.
"Herein."

Chan hatte geduldig gewartet, schon hatte er geglaubt, Katsumi wäre im Moment nicht da.
Doch als er die Stimme auf einmal so unerwartet hörte, hob er etwas verblüfft seine Augenbrauen.
Chan öffnete verwundert die Tür und wen er sah, war Katsumi.
Sein Blick ging weiter zu den brennenden Kerzen.
Hatte er etwa medi-
Oh!
"Oh! Ich-
Ich wollte nicht stören", sagte Chan.
"Ich wollte nur einmal reden."

Katsumi kniete weiterhin ruhig vor den Kerzen, während Chan ihn von hinten her sehn konnte.
"Du störst mich nicht", sagte Katsumi, der seinen Kopf dann auf die Matte senkte und seine Fingerspitzen beider Hände zusammen schloss. Kurz küsste er die Matte und erhob sich wieder.
Danach stand er auf, drehte sich und wies Chan auf eines der Sitzkissen.
"Bitte. Doch zieh deine Schuhe aus."
Er zeigte auf seine eigenen Schuhe, die neben der Matte lagen und Katsumi setzte sich dann auf ein Sitzkissen.
Was wollte Chan hier?
Dieser Besuch war wirklich unerwartet.
Doch sicherlich würde es um Kate gehn.

Chan blinzelte und mit grossen Augen blickte er Katsumi dabei zu, wie er aufeinmal die Matratze küsste.
War das die Religion der Otopianern?
Als Katsumi sich dann zu ihm umdrehte, schloss Chan schon mal aufmerksam die Tür.
Er nickte etwas überfordert und zog schnell die Schuhe aus, nicht noch unhöflich sein!
Schliesslich zwang sich Chan dann zu einem unsicheren Lächeln.
"Sehr nett, dass Sie mich empfangen.
Ich äh... ich hab nachgedacht, sehr lange und... da wollte ich mit Ihnen reden, Katsumi-sama", sagte Chan und erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich noch gar nicht höflich verbeugt hatte.
Schnell tat Chan das und er schien nun ganz sicher und einverstanden zu sein.
"Ich habe nämlich schon einmal mit einem Otopianer gesprochen"
, erklärte Chan freundlich.

Katsumi verbeugte sich nun ebenfalls, sitzend und wies Chan nochmals auf das Sitzkissen.
Er kannte Chan gut vom sehn mittlerweile.
Doch gesprochen hatten sie wirklich noch nie zusammen.
Das Chan schonmal mit einem Otopianer gesprochen hatte, überraschte ihn keineswegs.
Seit den Zeiten Tarabas', wimmelte es hier nur so von Otopianern, schien es zumindest Katsumi.
Jedenfalls im Umgekehrten Falle war es so, Neuvampire ohne Ende, selbst er war ja einer.
Und in der Robbinsfamilie mittlerweile hatte es auch ein paar Otopianer.
Statt Chan jetzt schon eine Antwort zu geben, schwieg Katsumi erstmals und wollte diesen reden lassen.
Jeder Mann hatte eine eigene Geschichte zu erzählen.
Und wenn Chan nicht deshalb gekommen war, würde er ja jetzt das Blatt automatisch wenden und daher wäre Katsumis Gegenfrage eh nicht von Nöten.

Chan verstand schliesslich, als Katsumi dann noch einmal auf das Kissen deutete.
"Oh äh, dankesehr", er setzte sich daraufhin hin.
Wie ruhig Katsumi doch schien, wie ein weiser Priester in weiss, kam es Chan vor.
Die dunkle Stimmung mit den hellen Kerzen, die hier Licht spendeten, hatten auch einen ganz beruhigenden Effekt.
Chan gefiel es im Zimmer von Katsumi, mal etwas anderes, ja fast schon in eine ganz eigene Kultur, kam es Chan vor.
"Ich habe nämlich so einiges was ich schon längst einmal hätte sagen sollen.
Es freut mich ungeheur, dass Sie ich meine äh ich, ich mit Ihnen Verwandt bin", erzählte Chan freundlich und ebenso erfreut.
"Und ich wollte gerne einmal ein wenig reden.
Hören warum Otopianer den so weise sind.
Ich weiss noch, ich hatte lange ein riesen Problem, ich habe ähm... sehr lange Kate", Chan hielt etwas zweifelnd inne, 'Kate? Sagt er nicht immer Katu?' , "Katu nicht verstanden.
Deswegen ging ich eines Tages zu einem Otopianer.
Habe ihn direkt gefragt, ohne Grund, ob er mir das erklären könnte.
Mein Problem gegenüber dem verstehen einer Mara.
Und seine Worte sind in mich hineingefahren", erzählte Chan ihm wahrheitsgetreu und dieses - wenn auch nur für Chan xD - unglaubliche Erlebnis, würde er niemals mehr vergessen.
"Es war für mich, eine innerliche... Befreihung.
Seitdem her, frag ich mich auch nicht mehr so viel", lächelte er und nickte Katsumi dann einverstanden zu.
"Und jetzt möchte ich wissen, was euch Otopianer den so auszeichnet.
Ist es eine Art Kung-Fu Weisheit, die man lernen muss, um so zu denken?"

Katsumi war unbeeindruckt von Chan.
Natürlich hatte er längst mitbekommen, dass Chan der Familienaussenseiter war...jetzt wusste er auch warum. xD
Der Mann konnte vielleicht reden...alle Sätze bis auf vielleicht einen gestrichen, hätte ihn etwas besser dargestellt.
Und was hatte er genau wegen Kate gemeint?
Katsumi verstand nicht.
Warum hatte Chan ein Problem mit Kate gehabt?
Oder war es überhaupt ein Problem?
Dieser Mann sprach so undeutlich, dass man gar nicht richtig wusste, was er wollte.
"Otopia beruht auf dem Prinzip Ehre", sagte Katsumi und er hoffte, dass es das war, was Chan auch gefragt hatte.
Wollte er von ihm jetzt einen Crashkurs über Otopia haben oder vielleicht lieber doch wissen, warum Kate ungezogen ist?
Er wusste es wirklich nicht.
Ach, in dieser Familie war es doch so schwer ehrenhafte Antworten zu geben, ohne sich selbst zu blamieren!

"Ehre", wiederholte Chan und nickte, das sagte ihm natürlich was.
"Und ähm", leicht hob er nun etas fragwürdig seine Augenbrauen, "wie funktioniert das ganze in Otopia?
Wird man allein durch die Ehre plötzlich weise?"

Katsumi faltete nun leicht seine Hände auf den Knien und diese Frage schien ihm leicht zu beantworten.
"Ich glaube, Ihr könntet diese Frage auch selbst beantworten. Was ist ein Stein - mag er noch so ehrenhaft sein - im Vergleich zu einem Berg? Um weise zu sein, benötigt man Ehre, das stimmt...aber dennoch kann nicht jeder, der diese besitzt, weise werden. Versteht Ihr, was ich meine? Ich sehe keinen Bezug zwischen weise und ehrenhaft. Ein ehrenhafter Mann, ist ein Mann, der seinen Befehlen gehorcht und alles tut, um seinem Meister zu gefallen. Jedoch ein weiser Mann...braucht das nicht mehr zu tun, denn er ist vollkommen."
Katsumi schloss einen Moment friedlich seine Augen und er hätte Chan gerne etwas Tee von seiner Dienerin angeboten, aber hier hatte er weder die Dienerin, noch die Mittel den Otopianischen Tee zu fertigen. Dieses Wasser hier würde ihn töten und schon lange hatte er nichts anderes als Blut getrunken.
"Darf ich euch eine Frage stellen, Chan-sama?", fragte nun Katsumi, der wieder auf sein Gegenüber blickte.
"Von welchem Otopianer habt Ihr den Ratschlag erhalten, der euch innerlich so...befreit hat?"

Chan hatte ihm konzentriert zugehört, mit dem Beispiel vom Stein und dem Berg hatte sich seine Haltung positiv entspannt.
Das hatte doch was.
'Wie sama?'
Chan war in dem Fall froh, schon hatte er nämlich befürchtet gehabt, bei Katsumi etwas fragwürdig rüber gekommen zu sein. xD
Chan ahnte nicht, dass er das noch immer war.
"Er wirkte auf mich wie ein Erfahrener Seekämpfer", erzählte Chan nun imt aufrichtiger Haltung.
"Sein Name ist Senjor Yanez, er hat einige Zeit den Kindern von der Zauberwelt, Otopia unterrichtet."

Ehrfahrener Seekämpfer?
In Otopia?
Das musste wohl ein Irrer sein...oder ein Soldat.
Señor Yanez?
Nein, das sagte ihm nichts.
Also wahrscheinlich ein normaler Soldat. xD
"Ach tatsächlich, er hat Zauberer unterrichtet."
Doch ein Irrer.
Kein Soldat auf der Welt würde so etwas unehrenhaftes tun.
"Ich nehme an, dass er Neuvampir ist. Ein Portugiese, seinem Namen nach."
Katsumi überlegte kurz.
Señor de Paiblo kam ihm in den Sinn, dieser war Geschäftsmann.
Und der andere?
Vielleicht auch.
Wer, ausser ein Geschäftsmann, würde Kontakte zu der Menschen- besonders der Zauberwelt pflegen und selbst noch unterrichten?
Ja, es konnte durch und durch ein Geschäftsmann sein, und da viel ihm endlich auch ein, wer Yanez war.
Natürlich, von diesem hatte er gehört!
"Ich habe von ihm gehört", sagte Katsumi.
"Er hat in den Malaysischen Gewässern gelebt und an der Seite von Piraten gekämpft. Eine interessante Geschichte. Ihr habt Ihn also in diesem Hogwarts kennen gelernt?"

Chan blinzelte leicht, als er Piraten erwähnte, doch er nickte dann wiederum erneut auf.
Er hatte an der Seite mit Piraten gekämpft?!
"Äh ja.
Nein, das heisst... nein.
Nicht direkt", Chan wurde etwas aufmerksamer und machte kurz eine Pause, während er sich die Worte überlegte.
"In Hogwarts ist es verboten über Otopia zu unterrichten, daher hat er lange Zeit in der heulenden Hütte seinen Unterricht gehalten."