RE: Gebirge - 11

"Meine Mama sagte immer, Himmel und Erde verschmelzen in den Gipfeln der Berge", sprach Adrian fröhlich.
Was für wundervolle Zufälle es doch gab ... ganz allein auf einer so großen Reise hatte er sich hier im Gebirge an einem weiteren Vorsprung hingesetzt und den Ausblick betrachtet - die Welt lag vor ihm.
Und dann, Stunden später, kam dieser große, wuchtige Mann angelaufen, bemerkte ihn nicht und setzte sich auf einen der vielen Felsen.
"Ich denke, sie hatte Recht."

[jö, adrian ]

Marcellus keuchte schwer und er schloss kurz seine Augen, als Adrian sprach.
Den Fremden hier hatte Marcellus anfangs gar nicht bemerkt.
Aber erschracken tat er ebenfalls nicht.
"Essen", sagte Marcellus und er schluckte schwer.
Er öffnete die Augen wieder und blickte zu dem Mann, der vorher etwas gesagt hatte.
"Hast du...Essen?"

Adrian lächelte und blieb wortlos sitzen, reagierte zunächst scheinbar gar nicht.
Dann zog er den Rucksack zu sich, der etwas neben ihm lag, machte ihn auf und zog eine Vesperdose hervor.
Er holte ein Käsesandwich raus, stand in Ruhe auf und lief zu Marcellus.
Dann reichte er ihm das belegte Brot und warf einen Blick auf dessen Messer. Es erschrak ihn nicht - nein, der Adrian von heute war mutiger. Seine Reise hatte das zu verantworten.
"Wollen Sie auch etwas trinken, Sir?"

Marcellus nahm ihm das Käsesandwich aus der Hand und nahm erstmal ein paar grosse Bissen davon.
Auf die Frage, ob er noch etwas zu trinken wolle, winkte Marcellus ab und er ass gierig weiter.
Dieses Essen war himmlisch und wie für Könige gemacht, seiner Meinung nach.
Und so sprach er die nächsten paar Minuten überhaupt nichts, sondern ass das Sandwich zuende und leckte sich am Ende die Lippen.
Jetzt erst nahm er sich Zeit und blickte seinem Helfer ins Angesicht.
Als wäre dieser vorher bloss ein einfacher Soldat gewesen, so hatte ihn Marcellus jetzt innerlich zum Offizieren befördert.
"Deine Mutter hat recht", sagte er und nickte bestimmt.
"Aber hier gibt es kein Leben.
Nur der Tod."
Er stand auf und streckte Adrian seine starke Hand entgegen.
Er wusste, dass man in dieser Hand zum Gruss einander die Hand schüttelte.
Und das wollte er Adrian jetzt auch gewähren.

Adrian lächelte und starrte Marcellus' Hand unbestimmt an. Er war sich nicht sicher, was der Mann wollte, und konnte nicht so recht glauben, dass er als gleichwertig angesehen wurde. Meistens übergingen ihn die Leute.
Doch nach einigen Augenblicken schüttelte er sie schließlich und strahlte dabei wie ein Kind.
Dann deutete er auf die Berge.
"Aber das Leben ist hier doch überall! Der frische Wind, der die Berge besingt und die Könige des Himmels, die Adler, die hier oben über ihr Königreich herrschen! Hier ist die Seele frei."
Adrian verstummte und sah zu Boden. Was er sagte, war vermutlich dumm. Was wusste er schon vom Leben?

"Tja, dann bist du wohl ein Dichter", sagte Marcellus und er klopfte Adrian kräftig auf die Schulter.
"Aber ich nicht.
Danke für das Essen.
Wenn ich etwas für dich tun kann, sag es mir lieber jetzt."

Adrian musste nicht lang überlegen.
"Sie ... Sie könnten mich in die nächste Stadt führen, Sir."
Er lächelte bei der Aussicht, mit jemandem unterwegs zu sein, den er fast "Freund" bezeichnen konnte. So deutete er zumindest das Schulterklopfen, über das Adrian sich zutiefst freute.
Und immerhin hatte er nicht die geringste Ahnung, wo er wieder in die Zivilisation fand - und das war unter den Umständen, dass Marcellus gerade sein letztes Essen bekommen hatte, ein relativ großes Hindernis.
"Ich bin Adrian Marks, ich bin 46 Jahre alt und ich lese gerne."

[jöö =) hach adrian ist süss]

"In die Stadt", sagte Marcellus, wohin er ja auch wollte.
Also müssten sie zusammen reisen, das kam ihm gerade recht.
"Ich bin Lenaûs, aus Otopia.
Kannst du kämpfen, Adrian?"

Lenaûs. Was für ein merkwürdiger Name. So einen hatte Adrian noch nie gehört. Und von Otopia wusste er auch nicht viel - erkannte bis jetzt nicht, dass er einen Vampir vor sich hatte.
Aber bei dessen Frage zuckte er zurück.
"Kämpfen? Meine Mama hat immer gesagt, kämpfen muss der, der zu schwach ist, um Wichtiges zu leisten."

Bei Marcellus kam diese Aussage gar nicht an.
Kampf als Schwäche zu bezeichnen, war eine Beleidigung ihm gegenüber.
Daher runzelte er die Stirn.
"Dann hat deine Mutter nicht verstanden, dass Kampf manchmal notwendig ist.
Er kann dazu dienen, wichtiges zu bewirken."

Und weil er sich hier frei fühlte, und weil er Marcellus als Gefährten betrachtete, traute Adrian sich, den Gedanken seiner Mutter fortzuspinnen, seine eigenen reinzubringen.
"Ich denke ... ich denke, nur derjenige Kämpfer kann Wichtiges bewirken, der gezwungen wird, zu kämpfen. Gezwungen durch die Umstände.
Der aber, der in Rage verfällt und seine Probleme durch Gewalt zu lösen versucht, der wird von ihr selbst zerfressen werden. Und der Kampf, den er führt, wird seine Umwelt nur in ein glückloses Chaos stürzen."
Adrian hielt inne und starrte Marcellus an. Solch einen durchdachten Satz gab er wohl zum ersten Mal von sich ab. Ein Gefühl der Freude erfüllte ihn, diese ... diese kleine Diskussion mit seinem Gegenüber, sie war seine erste und er fühlte sich gut dabei, zu argumentieren, sich zu äußern - sich äußern zu dürfen.

Marcellus überlegte.
Dabei versuchte er Adrians Satz möglichst ins otopianische Denken zu übertragen, bzw. zu beschönigen.
Die äusserden Umstände im Gegensatz zu Rage.
Ja, der Ansicht war Marcellus aber auch, wenn man das ganze umdenkte und mit Rage unehrenhaftes Verhaltenn deutete.
Somit sagte Adrian also nichts anderes als in etwa:
Wenn ein Krieger mit Ehre kämpft und bewusst, ist das gut. Hingegen wenn er aus Dummheit, Eigensinn und Unehre kämpft, ist das ein Fehler.
Marcellus grinste und er legte Adrian seine Hand auf die Schulter.
Er nickte.
"Guter Mann", sagte er.
"Du bist ein helles Köpfchen, Adrian.
Deiner Meinung bin ich auch, wir denken beide genau gleich!"

Die nächsten zehn Minuten, in denen sie den weiterwanderten, hörte Adrian nicht auf, zu strahlen.

Sie hatten bereits ein gutes Stück hinter sich und hatten so einige Tiefenmeter gemacht, als Adrian, immerzu Marcellus folgend, sich endlich traute, eine der Fragen zu formulieren, die ihn beschäftigte.
"Wie kommt es ... dass Sie in den Bergen sind, Sir?"

Marcellus setzte mühselig, aber doch in raschem Tempo einen Fuss vor den anderen, während Adrian ihn begleitete.
Jeder schien anfangs in seinen eigenen Gedanken zu sein, als dann diese Frage auftauchte.
Diese Frage.
Tarabas - Ermordung - Verrat - Flucht.
Ja, wie war er hierher gekommen?
Wie konnte er hier raus?
Aus der Situation, aus allem?
Marcellus blickte zu Adrian, während er ging.
Ein guter Grund, warum er dem fremden den Namen seines Ur-Grossvaters gegeben hatte und nicht seinen.
Man sollte in der Menschenwelt nicht hören, dass ein Marcellus hier herumtrieb.
"Stärken, Adrian.
Jeder Mann muss sie selbst finden.
Verstehst du, was ich meine? Ich suche meine Grenzen und gehe meinen Weg.
So wie du hierher, bin ich auch gekommen."

Adrian stutzte und dachte lange über diese Antwort nach. Und kam schließlich zu dem Schluss, dass sie keine Lüge war, aber die Wahrheit dennoch verschleierte.
Und unvorsichtig und unerfahren, wie er war, fragte er nach:
"Und wieso wollen Sie Ihre Vergangenheit verheimlichen, Sir?"