RE: Anwesen Joseph Eichenberg - 17

Eichenberg blickte weiterhin ruhig zu ihr, bis es seine Stimme war, die diese angespannte Stille unterbrach.
"Was geht dir durch den Kopf, wenn du solche Worte liest?"

Isabella blickte ein wenig auf ihre Hände und den Boden vor sich, während sie kurz nachdachte, bevor sie den Kopf leicht hob und antwortete.
"Ich fühle mich geehrt, sie lesen zu dürfen. Nicht jeder vermag es, Worte zu solchen Kunstwerken zusammen zu fügen."
"Ich fühle mich in die Verse hinein...versuche das Gedicht in seinem Ganzen besser zu verstehen" sagte sie noch etwas leiser.
Wollte ihr Herr wissen, was sie speziell bei diesem Werk dachte?
Isabella schwieg vorerst.

"Ja, aber du weichst aus, ich möchte gerne eine tiefe und ehrliche Antwort wissen", sagte nun Eichenberg, der sich andere Antworten mittlerweile gar nicht gewagt war.
Er sah aufmerksam zu Isabella.
Er wollte mehr wissen.

Isabella atmete ruhig ein und aus, innerlich jedoch war sie alles andere als gelassen.
Natürlich hatte sie sich damit auseinander gesetzt, ob der Graf sie selbst damit gemeint hatte.
Abends, als sie allein und ohne Arbeit in ihrer Kammer war und zur Decke hinauf starrte, darauf wartend, dass der Schlaf sie übermannte.
Irgendwann hatte sie sich selbst innerlich geschalten und zum stillschweigen geheißen. Es war selbstsüchtig, als Dienerin zu denken, ein Graf würde eine Dichtung über sie machen.
Dass sie Edoardo Brown gemocht hatte, konnte Isabella nicht leugnen. Sie empfand ihn nicht für seltsam oder komisch, mehr sehr gebildet und nicht vollends zufrieden, als ob er etwas vermissen würde, das er nicht zurückbekam.

Zipora hatte sehr ungehalten reagiert, als der Diener die Zeilen damals vorgelesen hatte.
Konnte Isabella Eichenberg sagen, was sie dachte.
Sie fühlte sich befremdlich. Der Vampir war ein sehr gerechter und guter Herr, doch konnte Isabella die Kluft, die zwischen ihm und ihr stand, die ihren und Eichenbergs Stand voneinander trennten nicht vergessen.

Isabella dachte nocheinmal über das erste Gedicht nach, das Eichenberg ihr gezeigt hatte.
Sie wusste nicht, von wem es war, geschweige denn, wer damit angesprochen wurde.
Was waren schon die Gedanken einer jungen, nichteinmal hundert Jahre alten Mara.

Schließlich hob das Mädchen ihren Kopf und es war ein ganz eigener Blick, der in ihren Augen lag.
"Herr, ich denke, es könnte über mich verfasst sein" sprach sie es schließlich aus und die Worte aus Isabellas Mund waren für sie zugleich eine Befreiung, aber auch ein selbstgesprochenes Urteil.
Die Mara wusste nicht, was Sire Eichenberg über sie dachte und behielt es sich vor, noch mehr zu sagen.

Eichenberg verzog seinen Mund zu einem leichten Schmunzeln.
"Ja, das denke ich auch", meinte er dann und stand auf.
"Nun denn, ich wünsche etwas Brandy für mich, und Douglas kommt heute sicherlich noch vorbei, für ihn etwas Scotch bereit halten."

Isabella hatte noch immer demütig ihre Hände vor dem Körper zusammen gelegt und sah sein Schmunzeln aus den Augenwinkeln.
Sire Joseph Eichenberg war eine faszinierende Person.
Wie schnell er umschwenkte und etwas zu trinken wünschte, das gleichwohl nichts an seinem außerordentlichen Verstand änderte.
Isabella verneigte sich mit einem leichten Knicks und ging sofort ihrem Herren den Brandy zu bringen und Scotch vorzubereiten.
Douglas Androvski war Eichenbergs bester Freund wie die Mara inzwischen mitbekommen hatte und die beiden waren in der Vampirwelt sehr hoch geschätzt.
"Bittesehr" brachte Isabella Eichenberg den Brandy.
"Der Scotch steht ebenfalls für Herrn Androvski bereit" verneigte sie sich.
Noch immer schwirrte die Reaktion von Eichenberg in ihrem Kopf umher, als sie ihm gesagte hatte, dass der Graf über sie geschrieben hatte. Doch lies sich die junge Dienerin nichts anmerken.

Eichenberg war zufrieden mit Isabella und er legte das Glas ab, trank aber noch nichts.
Nein, vielleicht würde er auch nichts trinken.
Je nach dem.
Draussen hörte man eine Kutsche bereits ankommen.
"Ah, da kommt er ja, der Gute. Du wirst ihn in die Gästestube führen Isabella, ihn dort bewirten und dann mit ihm auf mich warten. Geh."
Draussen stieg Douglas aus der Kutsche.
Er hatte einen Stock bei sich und klopfte dabei kurz an die Tür.

Isabella nickte und verneigte sich dann, mit ihrem ganz eigenen Anmut.
Sie verließ den Raum und ging so schnell sie konnte zur Tür.
Vorsichtig öffnete sie Douglas Androvski und machte einen tiefen Knicks.
"Sire Androvski, mein Herr Sire Eichenberg bittet sie mir in die Gästestube zu folgen."
Ihre Stimme war weich und zart, wie immer. Sie sah Androvski nicht direkt in die Augen und wartete demütig auf seine Antwort, ob er damit zufrieden war.

Noch während Isabella ihren Satz am beenden war, hatte Douglas sie mit seinem Stock leicht zur Seite geschoben und war eingetreten.
"Ah, also Gästestube. Ich sehe schon, der Gute hat etwas unordnung."
Er reichte Isabella sogleich seinen Mantel und den Zylinder.
Nein, Douglas war nicht gerne hier.
Alles war zu eng, zu klein, zu jüdisch.
Wo es langging, wusste Douglas, doch sollte Isabella ihn dorthin führen, er wollte das arme Kind doch nicht beschämen.

Isabella war selbst noch einen Schritt zur Seite gegangen, um Androvski genug Platz zu machen.
Sie nahm Mantel und Zylinder behutsam an sich.
Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte ging sie voran und führte den Besuch in die Gästestube.
"Darf ich Ihnen etwas bringen?" fragte sie mit leicht gesänktem Haupt.
Isabella gab sich große Mühe ihm den Respekt zu erweisen, den er verdiente.

"Ja, etwas Scotch", sagte Douglas und er setzte sich auf einen Sessel.
Den Stock schwang er dann leicht gelangweilt um sein Handgelenk und er blickte sich kurz um.
"Oh und ähm, in keinem Kelch, ich wünsche Kristallglas! Nicht dieses...Zeug...übrigens Isabella, du...heisst doch so...ähm, den Scotch ohne Blut."

Isabella hatte Mantel und Hut sauber aufgehängt, bzw verstaut.
Sie knickste leicht als Sire Androvski nach dem Scotch fragte.
Eichenberg kannte seinen Freund wirklich gut.
Die Instruktionen von Androvski hörte sie sich geduldig an und sie nickte leicht, als er ihren Namen bestätigt wissen wollte.
"Sofort, Sire" damit verließ sie den Raum kurz um den Scotch zu bereiten, wie der Gast es wollte.
Kurz darauf kam sie wieder in das Zimmer und servierte den Drink vorsichtig.

Als Isabella wieder herein kam, stand Douglas mittlerweile am Fenster und er blickte hinaus auf die Wiese.
Weiter vorne konnte man das kleine Narrenhaus, die alte Kapelle sehen.
Die war Douglas ein Dorn im Auge.
Er wandte sich dann um zu Isabella und liess sich den Drink servieren.
Eichenberg kam herein und mit seinem Stock trat er etwas mühselige durch das kleine Zimmer.
"Dottore!", freute sich Douglas und er machte eine spielerische Verbeugung.
Eichenberg wedelte kurz etwas mit seiner freien Hand herum und trat näher zu seinem Freund.
"Ich hätte schwören können, du wärst schon voller Staub mein lieber Pantalone."
"Was, etwa wie Komawroskis Uniform?"
Eichenberg setzte sich sogleich.
"Gewiss. Ach Isabella, ich habe meinen Brandy im anderen Zimmer vergessen, wie nachsichtig von mir."

Isabella hatte still gewartet, mit gesänktem Blick.
Was die Herrschaften redeten hatte sie nichts anzugehen, doch sie hörte ihren Namen und verneigte sich leicht.
"Gewiss, Sire" damit verließ sie die Gaststube und ging hinüber in das andere Zimmer um den Brandy zu holen.
Sie tat es gern. Eichenberg hatte sie bei sich aufgenommen, und es war eine Ehre bei ihm Dienen zu dürfen. Auch seine Tochter war sehr wohlerzogen.

Douglas begann zu lachen.
"Wie nachsichtig?
Eichenberg betrachtete seine Hände, während er dann zu seinem Freund blickte.
"Ah, ich weiss schon was du sagen willst."
"Na dann sag endlich, was denkt sie über das Gedicht, na?"
Eichenberg verzog den Mund und er hob leicht seine Fingerspitzen.
Douglas lehnte sich zurück und er trank einen weiteren Schluck Scotch.