RE: Haus von Frau Leni - 7

Eden lauschte seinem Vorschlag und blickte ihm noch einen Moment misstrauisch entgegen.
Nur ein wenig, sicher. Aber bis jetzt war bei Vorschlägen von Männern noch nie etwas gutes herausgekommen.
Das erinnerte sie an Wyatts Vater.
Dieser Mistkerl...
Sein Vorschlag war es ja auch gewesen, sich um seinen Sohn zu kümmern.
Sein Vorschlag war es ja auch gewesen, da zu sein, wenn sie ihn brauchte.
Sein Vorschlag war es ebenfalls gewesen, stets und ständig erreichbar zu sein, falls etwas sein sollte.
Und wo war er nun?
Innerlich konnte sie über die ganze männliche Bevölkerung nur den Kopf schütteln.
Sie waren doch alle gleich. Alle.
Egal, wie oft sie sich entschuldigen mochten. Weniger als die Hälfte davon stimmte tatsächlich mit ihrer Gedankenwelt und ihren Empfindungen überein, wenn sie denn welche besaßen.
Dennoch nickte Eden.
"Ich nehme Ihre Einladung gerne an", sprach sie und wollte ihm die Chance geben. Warum auch nicht? Es gab nichts zu verlieren..
"Aber gehen können wir erst, wenn Frau Leni wieder da ist. Ich kann Wyatt nicht alleine lassen."
Das war ihr letztes Wort dazu, sie drehte sich um und fertigte weiter an ihrem Süppchen herum.
Außerdem würde ihr das Zeit verschaffen, sich selbst ebenso noch etwas frisch zu machen.

Gut, da war auch Cheung einverstanden.
Ausserdem hatte er jetzt noch zu tun.
Und so trank er seinen Kaffee zuende, spühlte die Tasse ab und verschwand dann nach oben in sein Zimmer.
Dort hiess es erstmals unter die Dusche.
Genug lange hatte er heute im Keller unten gehockt und die Heizung repariert.
Das kühle Wasser tat gut und half etwas beim Ärger ablassen.
Er liess sich genug Zeit, bis die alte Schachtel aus ihrem Chor wieder zurück war, würde noch eine kurze Zeit dauern.
Als er dann im Bad fertig war, zog sich Cheung etwas bequemes an.
Ein graues Hemd ohne Krawatte und auch keinen Blazer.
Musste ja nicht jedesmal in Polizistenstil kommen, was er schon durch den Tag genug tat.
Schliesslich setzte er sich auf das Bett und nahm sein Handy.
Carol war an der anderen Leitung.
"Ja, hi, ich bins.
...
Ja. Ist sie da?
...
Gut, ich warte."
Es dauerte einen kurzen Moment und am anderen Ende meldete sich seine Tochter.
"Hallo, wie geht es dir?
...
Ja, mir geht es auch gut", meinte er mit etwas lustloser Stimme und trat dann vom Bett zum Fenster, wobei er leicht die Vorhänge hob und nach draussen spähte.
Ein paar Jugendliche waren dort und schienen sich gegenseitig aufzuhetzen.
"Ja, ich weiss. Tut mir leid. Ist dein Trainer zufrieden gewesen?
...
Mhm.
...
Nein, tut mir leid, ich muss noch eine Weile hier bleiben.
...
Ja, fast wie im Film.
...
Aber natürlich. Ich kann sie dir zeigen, wenn ich bei dir bin. Ein kleines Abzeichen, zum anstecken."
Draussen löste sich die Gruppe wieder und die Jugendlichen verschwanden alle in verschiedene Richtungen.
Shao Mei derweilen erzählte ihrem Vater von der Schule.
Dieser hörte noch eine Weile zu, antwortete ihr und das Gespräch nahm schliesslich seinen Abschluss.
Cheung legte auf und blickte auf seine Uhr.
45 seither waren vergangen und nächstens würde Frau Leni sicherlich nach Hause kommen.

Eden hatte sich ihr Süppchen gekocht und dieses in einem langatmigen Tempo runtergewürgt.
Ihr war die Lust auf etwas zu essen vergangen. Sehr sogar.
Schließlich stand sie auf, trat an die Spühle und spühlte alles gut ab, trocknete es noch ab und stellte es an seinen angestammten Platz in den Schränken. Sie blickte auf die Uhr und die gute Frau Leni war noch immer nicht da.
Daraufhin ging sie aber zu ihren Tüten, griff sie an den Henkeln und lief schnurstracks nach oben, in ihr Zimmer.
Wyatt schlief noch immer und Eden machte sich sorgen. Er schlief in der letzten Zeit wirklich ziemlich viel.
Eigenartig.
Aber ja...er sollte ruhig schlafen, dann würde er wenigstens immer top fit sein.
Eden kramte indessen ein paar Sachen aus den Tüten hervor: Einen Rock, eine Bluse und eine Feinstrumphose.
Damit verschwand sie ins Bad und kam erst wieder heraus, als sie vollends wieder hergerichtet war.
Ja, wirklich. So gefiel sie sich doch tausendmal besser.
Die junge Frau trat daraufhin an das Bett ihres Jungen, ließ sich daneben nieder, betrachtete ihn schweigend und strich ihm immer wieder sanft über die Wange.

Unten ging die Türe auf und Frau Leni kam gut gelaunt und summend herein.
Man konnte Cheung die Treppe runter laufen hören und er sprach zu Frau Leni.
"Ach du meine Güte, auf mich gewartet?"
Sie sah auf die Uhr.
"Also ich habe dem Kind genau gesagt, dass sie nicht warten soll!"
Kurze Zeit später klopfte es an Edens Zimmertüre.
"Eden, ich soll auf den Jungen aufpassen, hat mir Herr Cheung gesagt. Es ist ja schon spät und ihr geht noch aus? Aber passt mir auf die Strassen auf, es ist furchtbar glatt da draussen!"

Eden stand sogleich auf, als Frau Leni hereinkam. Sie strich sich den Rock glatt und ging zu ihr hin.
"Wirklich lieb, dass sie das tun, Frau Leni. Ich danke Ihnen sehr."
Daraufhin blickte sie noch einen Moment zu Wyatt zurück und nahm sich noch ihre Tasche.
Das war ja das einzige, was sie noch damals bei sich gehabt hatte.
"Wir werden sicher nicht allzu lang bleiben", sprach sie und irgendwie hatte sie im Gefühl, dass das nicht gut endete.
Aber sie versuchte zuversichtlich und positiv zu wirken.
"Also, bis morgen dann."
Sie winkte Frau Leni noch freundlich und ging dann die Treppe hinab, zu Cheung.
"Und, wohin soll's gehen?"

Cheung wartete bereits unten und er öffnete die Türe.
"Ich würde sagen wir suchen uns irgendwo ein nettes Pub hier in London", meinte er und trat hinaus.
Na wenn das bloss gut geht. xD
Er hatte die Autoschlüssel bei sich und öffnete das Auto.
Dieses war ihm von der Polizei zugestellt worden und ehrlich gesagt, hatte er es bisher noch nicht so oft benutzt.
Sein Jaguar zu Hause war ihm da schon etwas lieber.
Er öffnete ihr die Türe und stieg dann ebenfalls ein.
Trixie hatte ihm etwas von einem Sun Inn gesagt, vielleicht war es dort gut?

Eden war ihm gefolgt und auf dem Weg zu seinem Auto und in das Auto rein, faste sie einen Entschluss.
Hey, das sollte doch eine Versöhnung werden, nicht? Und bisher lief es ja noch ganz gut.
Also wollte sie versuchen, das aller beste aus diesem Abend rauszuholen, ganz gleich, wie er dazu stand.
Nun, eingeladen hatte er sie ja auch nur zwangsweise...so naiv war Eden nicht.
Aber dahinter steckte ein etwas versteckter guter Wille und den wollte sie beim Schopfe packen!
Ohnehin...wenn sie nun schon einmal dabei war, vielleicht wurde er ja tatsächlich noch etwas gesprächiger.

Cheung liess den Motor laufen und schaltete als erstes das Radio aus.
Dieses englische Geschwätz irritierte ihn jeweils.
Gut war hier in England linksverkehr! Genauso wie zu Hause.
Also allzu viel konnte da nicht schief gehn.
Cheung fuhr schliesslich los und anfangs konzentrierte er sich vorallem auf die Strasse und die fremden Schilder.
Aber er war ein guter Autofahrer und hatte sich schnell einmal in das System eingelebt.
"Ein einfaches Pub, irgendwo...ja? Oder wollen Sie etwas anderes?", fragte Cheung, während er die Kupplung bediente und rechts abbog.
Ein Jugendlicher sprang ihm direkt vor den Wagen und Cheung machte eine Vollbremsung.
"You maobing de!", rief Cheung wütend, während er ein, zweimal auf die Hupe drückte und der andere schnell von davon rannte.
Cheung schüttelte den Kopf und gab wieder Gas.
Was für ein Tag heute.

Eden lehnte sich in den Rücksitz, drehte ihren Kopf Richtung Fenster und blickte schweigend hinaus.
Wenn sie im Auto saß, war sie meist nie sonderlich gesprächig, da sie sich hier vor allem auf ihre Außenwelt konzentrierte.
Sie sah, wie dort ein älteres Eherpärchen ging, zwei Jungs noch am späten Abend Fußball in einer Ecke spielten und zwei scheinbare Freundinnen kichernd aus einem Restaurant ganz in der Nähe kamen.
Aber der Wagen fuhr, blieb nicht stehen.
Und ebenso liefen die Bilder der Menschen an ihr vorrüber und immer wieder verfiel sie in unnütze Gedanken darüber.
"Ja, einfach in ein Pub. Wie Sie möchten", sagte sie und schließlich wollte er zahlen, also sollte er aussuchen.
Aber sie fand es aufmerksam von ihm, dass er nachfragte und daher drehte sie kurz etwas den Blick zu ihm.
Aber genau da passierte es auch schon!
Der Teenager lief ihnen vor den Wagen und Cheung bremste, woraufhin Eden sofort etwas gegen den Gurt geschleudert wurde und vor lauter Schreck ruhte kurz ihre Hand an der Schulter des Inspektors, weil sie nach Halt gesucht hatte.
Jedoch, diese zog sie schnellstens wieder zurück, drehte sich wieder auf die andere Seite und atmete aus.
Was für ein Tag.

Cheung konnte nur den Kopf schütteln.
Dieser Penner!
Er sah kurz zu Eden.
"Alles klar? Ich glaub da vorne ist auch schon eines."
Er hatte keine Lust noch viel weiter zu Fahren, wer wusste, wer ihm da alles sonst noch vor den Wagen springen mochte.
Der Wagen verlor an Tempo und sie konnten auf einem Schild sehn: Red Lion.
Cheung entschloss sich, einfach dieses zu nehmen und er parkierte sogleich.
Zwar nicht das Sun Inn, doch sicherlich auch nicht schlecht.
Er stieg aus und schloss den Wagen ab.
Dann ging er mit Eden hinein.

--> Red Lion

Eden hatte sichtlich Mühe mit dem Einschlafen, nach diesem Abend.
Immer wieder wälzte sie sich im Bett herum, bis sie sogar begann, sich Vorwürfe zu machen, einfach gegangen zu sein.
Sie zog sich die Decke über den Kopf...es brachte nichts.
Sie ließ die Decke vom Bett rutschen...auch das brachte nichts.
Schlussendlich, nachdem sie sich schätzungsweise noch 45'000 mal hin und her gewälzt hatte, griff sie sich das Kopfkissen und drückte dieses mit ganzer Kraft in ihr Gesicht, damit man nicht hörte, wie ein missmutiger Schrei ihre Lippen verließ.
Die ganze Nacht lag sie wach da und bekam kein Auge zu, der ihr der ganze letzte Tag wirklich zu schaffen gemacht hatte.
Schlussendlich graute draußen schon der Morgen, als sie totmüde, halb aus dem Bett heraushing und noch immer Schäfchen zählte.
Und da klingelte auch schon ihr Wecker. Eden stand müßig auf, kümmerte sich wie gehabt um Wyatt und dann um sich.
Heute hingegen zu gestern abend aber keinen Rock, sondern eine lange Jeanshose, eine Rollkragenpulli und dicke Strümpfe.
Ihr war eiskalt.
Schleichend lief daraufhin hinunter in die Küche. Bezweifelte aber, dass schon jemand wach war.

Ein neuer Morgen.
Ein neuer Tag.
Frau Leni war gerade dabei das Frühstück zu kochen, als Eden herein kam.
"Ach, guten Morgen Kind!", grüsste sie diese freundlich und bemerkte auch sogleich wie müde Eden aussah.
"Du meine Güte, ich hab es mir doch gedacht als ihr zwei gestern noch weg wart! Molly - hab ich selber zu mir gesagt - die werden morgen tot müde sein, es ist nicht gut sich bis in alle Nacht irgendwo rumzutreiben!"
Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf und es klopfte bei ihr an der Tür.
"Ah, Hermann!"
Wie immer der Zeitungsbote.

Eden schwieg und setzte sich an den Frühstückstisch, woraufhin sie etwas dort die Arme zusammenlegte und den Kopf darauf ruhen ließ.
Müde betrachtete sie Maserung des Tisches in der Küche und fuhr mit dem Finger daran entlang.
Heute würde also ihr erster Arbeitstag sein, super.
Schließlich zog sie den Pulli enger um sich und überschlug die Beine.

Cheung kam die Treppe herunter.
Wie immer in Dienstkleidung.
Hemd, Kravatte und Blazer mit der neu Auszeichnung daran.
"Morgen", murmelte der Inspektor müde, während er sich an den Tisch setzte.
Frau Leni reichte ihm sogleich wie immer die Zeitung.
"Guten Morgen, Herr Cheung. Ja, Sie waren ja gestern auch lange weg! Ich hoffe doch schwer, dass das nicht zur Angewohnheit wird."
Cheung legte die Zeitung ab und er blickte dann zu Eden.
"Morgen", sagte er nun noch extra an sie gewandt, mit einer etwas freundlicheren Stimme und er nickte ihr leicht zu.

Eden sah auf, als Cheung hinunterkam und schwieg noch.
Jedoch, als er das Morgen noch einmal wiederholte und sie dabei anblickte, lächelte sie etwas unsicher auf.
"Morgen", sprach die Hexe daraufhin.
Komisch war es alle mal für sie.
Immerhin wusste dieser junge Mann jetzt mehr über sie, als die meisten Menschen, die sie kannte.
Schließlich stand sie aber auf, trat an die Kaffeemaschine und setzte darin welchen auf.
Kaum war er durchgelaufen, nahm sie sich drei große Tassen und schob auch den anderen beiden je davon eine zu.
Eden setzte sich wieder.
"Guten Appetit", wünschte die junge Frau noch und um jeglichen unangenehmen Unterhaltungen zu entgehen, schob sie noch hinterher: "Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag. Ich bin froh, dass es so schnell geklappt hat."