RE: Quelle

#91 | RE: Quelle datum

28.10.2008 19:52

Ein junger Vampir lief durch den Markt.
Er trug abgenutzte Kleider und durchlöcherte Schuhe.
In seiner einen Hand hatte er einen dünnen Bambusstock, mit dem er gerne seinen Takt beim Laufen angab.
Geschickt sprang er über die eine Mauer und er machte eine spielerische Verbeugung als zwei Mädchen an ihm vorbeigingen. Diese kicherten leicht und der junge Mann lief weiter.
Auf dem Kopf trug er einen Hut, wie es sich für einen modernen und anständigen Kaufmann gehört, nur man konnte man ihm schon ansehen, das seine Geschäfte nicht besonders gut liefen. Jedoch schien er nicht sonderlich an Hunger zu leiden, an seinem Bauch konnte man erkennen, das es ihm an Essen nicht fehlte.
Einige Soldaten liefen an ihm vorbei und schubsten ihn zur Seite.
„Verschwinde, und nimm deinen verpesteten Freund auch gleich mit! Gesindel!“
Der junge Mann blieb kurz stehen und er hob seinen Hut. Dann lief er weiter, und erneut wurde er zur Seite geschlagen. Eine Gewohnheit.
„Einsperren sollte man euch! Ertränken!“
Unser junge Mann zog seine Kleidung zurecht und machte eine leichte Verbeugung.
Dann ging er erneut weiter und nach weiteren Mauern und Hindernissen, kam er dann an einem kleinen Steinhäuschen an.
Die Wände waren beschmutzt, überall hingen Plakate, die warnten: „Neuvampir! Achtung Seuche!“.
Einmal kurz klopfen und er trat ein.
„Ich bin schon fast am erfrieren, was gibt es denn zu essen?“
Ein anderer Vampir war darin, er hatte eine Judenkappe auf dem Kopf und trug einen weissen Rock. Dieser Vampir war ein weniger kleiner als der andere, er hingegen schien ganz abgemagert zu sein, was man an seiner dürren Taille erkennen konnte.
Er drehte sich zu ihm und zog sich seine Brille aus.
„Pilze, frische“, antwortete er mit müder Stimme. Er gab sich nicht Mühe, die Ironie mit dem richtigen Ton auszudrücken, mittlerweile verhungerte er schon fast am Wort alleine.
Der junge Vampir zog seinen Hut aus und legte seinen Stock ab.
„Pestiziert also?“
Er lächelte leicht und rieb sich die Hände.
„Furchtbar diese Kälte, hast du kein Feuer geholt, Dottore?“
Der Mann im Judenrock wandte sich wieder seiner Arbeit zu und antwortete nur zögernd.
„Wir haben das letzte Stück gestern gebraucht, mein Freund. Wer ist hier vergesslich? Übrigens Douglas, sie kommen dann morgen wieder. Ich glaube Komarowski wird heiraten.“
Der junge Vampir namens Douglas, den wir eben über den Markt begleitet haben, kicherte und er schwang sich auf die eine Matratze am Boden.
„Ich habe keine Angst vor ihm“, meinte Josef Eichenberg, der Jude.
Er zündete dann seinen Chanukkaleuchter an. Neun Kerzen und der rauchige Geruch füllte dann auch allmählich den Raum.
Douglas schloss die Augen, Eichenberg begann nun vor sich hin zu singen, hin zu brummen und sich dementsprechend leicht nach vorne und wieder leicht nach hinten zu bewegen. Wie immer war es dunkel draussen, bei den Schattenvampiren kam es einem noch düsterer vor als sonst wo.
Das ganze Spiel ging eine Weile, bis Josef den Leuchter wieder ausbliess und zu Douglas sah.
Dieser war wie immer kritisch. Eichenberg lächelte leicht, er wollte seinen Freund beruhigen, er würde schon acht geben. Wie er es immer tat.
Douglas zog sich dann ein Kissen aus seinem dreckigen Hemd hervor und legte es sich auf die Matraze. Er war ebenso abgemagert wie Eichenberg, konnte man nun deutlich feststellen.
„Da, hast du deines?“
Eichenberg nickte und er nahm sein Kissen hinter der einen Tür hervor.
Douglas seufzte.
„Vergiss es nicht morgen!“
Josef nickte. Natürlich würde er das Kissen nicht vergessen!
Er legte sich dann neben Douglas und rieb sich wehmütig die Stirn.
Douglas nahm ihm die Judenmütze ab und legte sie unter die Matratze.
Dann legte er Eichenberg ein Holzkreuz um den Hals und sich selbst auch.
„Und nicht vergessen, dreimal küssen und dich bekreuzigen!“
Eichenberg nickte knapp. Douglas erinnerte ihn immer wieder daran. Ständig. Tausend mal in der Woche.
Vor einigen Monaten hatte er noch gezögert, dies zu tun. Sich als einen Christen auszugeben…doch Douglas hatte ihn des Besseren belernt.
„Sage und zeige niemals was du wirklich denkst, denn Schweigen ist Gold. Die Kunst, liegt in der Stille“, so sagte Douglas immer und Josef hielt daran fest.
Ja, eines Tages, das wussten sie beide, würden sie frei sein. Ganz frei und leben wie die Könige.
Dann, ja dann, dann dürften sie endlich sagen was sie denken und wie sie fühlten. Und auch dann würden andere vor ihnen schweigen müssen, so wie es die beiden bei den anderen mussten.

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